VITAMIN N

Natur ist die beste Medizin: Sie stärkt unser Immunsystem und hilft uns, die eigene Mitte zu finden. Wie wir ihre Power nutzen? Nichts einfacher als das!

Manchmal reicht es schon, sich ein Bild vorzustellen und schon steigt da dieses innere Lächeln auf. Etwa ein leise plätschernder Bach, der sich zwischen bemoosten Steinen, grünen Farnen und Laub- bäumen durch einen Wald bergab schlängelt. Und dann noch Vogel- zwitschern ... Diese Gaben der Natur streicheln nicht nur unsere Sinne, sondern können tatsächlich Krankheiten vorbeugen. Ihre heilende Wirkung rückt immer mehr in den Fokus der Forschung. In Japan ist das Waldbaden „Shinrin Yoku“ (übersetzt: „Eintauchen in die Atmosphäre des Waldes“) schon länger als Gesundheits-Vorsorge an- erkannt. Auch bei uns wird die Kraft des Grüns zunehmend genutzt. UND TATSÄCHLICH: Wir fühlen uns draußen nicht nur frischer, die Gesundungs-Effekte sind messbar. Nach fünf Minuten Spazierengehen im Wald schlägt das Herz langsamer, der Blutdruck sinkt, die Stimmung steigt. Bei der intensiveren Variante passiert noch mehr: Waldbaden fördert das Wachstum körpereigener Killerzellen, die als Teil des Immunsystems vor Krankheitserregern und Tumorzellen schützen, dank der Duftstoffe, die wir im Wald einatmen. Mit diesen Terpenoiden kommunizieren die Bäume untereinander. Prof. Qing Li, quasi der Vater der Waldmedizin und Präsident der „Japanese Forest Therapy Society“, fand heraus, dass die Anzahl und Aktivität der Killerzellen im Blut nach nur einem Tag im Wald um bis zu 40 Prozent ansteigen und dieses Level bis zu 30 Tage anhält.

Baum-Medizin - Nach fünf Minuten Spazierengehen im Wald schlägt das Herz langsamer, der Blutdruck fällt, die Stimmung steigt

AUCH DIE GERÄUSCHE der Natur tun uns gut. Eine Auswertung von 36 Studien über die Wirkung des Natur-Sounds ergab, dass das Schmerz- empfinden sinkt, dafür steigen Stimmung und Leistungsfähigkeit. Vogelgesang hilft beim Abbau von Stress, während Wassergeräusche Blutdruck und Schmerzempfinden senken. Neben diesen Heilwirkungen existiert auch eine psychologische Ebene. Wie man ganz konkret loslegt? Wir haben da ein paar Ideen (s. u.). Und lassen uns von einer Naturtherapeutin verraten, warum auch Stadtwälder perfekt sind.

3 Übungen zum Starten

SINNE KITZELN: Nur fünf Minuten Zeit im Grünen? Das reicht, um die Sinne zu verwöhnen: drei schöne Dinge zum Sehen suchen, eine Sache zum Hören, drei Düfte zum Riechen, drei Oberflächen zum Fühlen und viel- leicht etwas zum Schmecken (etwas, dass Sie kennen!). All diese Eindrücke bewusst wahrnehmen und in sich hineinhorchen, wie sie sich anfühlen.

VÖGEL BEOBACHTEN: Man muss nicht Vögel zählen oder ihre Art bestimmen. Im Gegenteil: In der Natur ruht sich unsere „gerichtete Aufmerksamkeit“ aus. Das

ist jene Konzentration, die wir brauchen, um unsere täglichen Aufgaben zu bewältigen. Eine begrenzte Res- source, irgendwann können wir nicht mehr gut denken. Wenn wir frei von Plänen – ungerichtet – ins Grüne gehen, erholt sich nicht nur die gerichtete Aufmerksamkeit, sondern wir werden auch kreativer, wie die „Attention Restoration Theory“ (ART)-Studie ergab.

WASSER HÖREN: Meeresrauschen wirkt beruhigend, mindert Ängste und das Schmerzempfinden. Die Aufnahme „Meer“ des Komponisten Martin Buntrock wird in der Geburtshilfe, beim Zahnarzt oder bei Schlafstörungen verwendet. Als CD oder MP3 erhältlich. Mehr Info unter: martinbuntrock.de

„Wald schenkt uns das Gefühl von Geborgenheit“
Interview mit der Naturtherapeutin Sandra Knümann

Sandra Knümann ist Diplompädagogin, Heilpraktikerin für Psychotherapie, Achtsamkeitslehrerin und Naturtherapeutin. Als Leiterin der Psychologischen Akademie für Naturtherapie (pan-praxis.de) bildet sie Natur-Achtsamkeitstrainerinnen und Naturtherapeutinnen aus.

Neue Energie durch einen Spaziergang, wie funktioniert das?

Die meisten Menschen gehen raus und grübeln über etwas, das in der Vergangenheit liegt, denken an den Einkaufszettel und was sie noch alles zu tun haben. Doch es lässt sich weit mehr aus dem Naturaufenthalt „rausholen“, wenn die Aufmerksamkeit in der Gegenwart bleibt: Was nehme ich wahr? Eine schöne Lichtstimmung. Vogelgesang. Wind auf der Haut. Wenn wir für alle Eindrücke und Sinnesreize offen bleiben, verlieren wir uns nicht in Tagträumen.

Also soll ich möglichst wenig denken?

Ganz ohne Denken halten Sie keine Sekunde durch. Wir denken die ganze Zeit. Aber: wir können das Denken lenken, etwa bewusst nach außen richten, zum Beispiel auf die Farben der Umgebung. Oder man richtet das Bewusstsein auf die Beziehung zwischen Außen und Innen: Was macht das mit mir, wenn ich diese Blume betrachte?

Und wenn ich diese Blume nicht so interessant finde?

Warum muss sie denn interessant sein? Dann nimmt man eben die Langeweile wahr und schaut, wie die sich anfühlt. Langeweile hat etwas mit Bewertung zu tun: Jetzt hab’ ich alles gesehen und will nicht mehr. Man wendet sich von einer Erfahrung ab. So lasse ich mir von der Langeweile den Genuss des Moments kaputt machen.

Was empfehlen Sie stattdessen?

Wenn man sein Denken bewusst steuert, bleibt man bei der Blume und lässt sich von Langeweile nicht stören. Der Gewinn, den man aus der Natur ziehen kann, wenn alle Sinne offenstehen, ist immens. Allein Tiere zu beobachten, kann Glücksgefühle auslösen, Kraft vermitteln und Erkenntnisse über das Leben liefern.

Inwiefern?

Dass alles eine Ordnung und eine Richtigkeit hat. Wenn wir uns orientierungslos und entwurzelt füh- len, kann das Naturerleben die Sicherheit vermitteln, dass wir dazugehören, dass wir verwurzelt sind.

Was kann der Wald, was der Strand nicht kann?

Ein Strand ist offen und weit. Das ist herausfordernd, mit starkem Wind oder starker Sonne. Man wird durchgerüttelt oder gebrutzelt. Der Wald hat diffuses Licht, wirkt dunkler und umhüllt von den Baumkronen bis zu den Verwurzelungen im weichen Boden. Geborgenheit im Symbolischen. Zu diesem Bild des Geborgenseins passen auch gut unsere Märchen wie Hänsel und Gretel oder Rotkäppchen.

Was ist, wenn ich nur einen Stadtpark in der Umgebung habe und mich entspannen möchte? Wunderbar. In Japan, wo das Waldbaden seinen Ursprung hat, findet sehr viel in Stadtwäldern statt, die genau dafür geschaffen wurden: für die Erholung der Städter.

Ich muss also nicht in die Wildnis?

Nein. Ich will doch jeden Tag innere Stärke finden, da nutzt es wenig, wenn ich von einem fernen Ort in Norwegen oder Patagonien träume und nur dort meine Mitte finden kann. Das wäre schade, auch für den Planeten. Nein, es geht um die Natur in der Umgebung, im Alltag. Wenn ich todtraurig bin, welcher Ort vermittelt mir Geborgenheit? Wie fühle ich mich, wenn ich auf dieser Bank sitze? Und: möglichst nicht bewerten. Sondern akzeptieren, dass im Park auch andere Menschen sind, dass man vielleicht Autogeräusche hört. Nicht dagegen sperren, das darf alles da sein. Allein durch diese Akzeptanz kommt schon mehr Ruhe.

Nehmen Sie eine neue Sehnsucht nach Natur wahr?

Wir sind so zugeschüttet mit Anforderungen, Terminen, Gedanken im Kopf, dass vielen Menschen eine Klarheit abhandenkommt. 90 Prozent der Zeit verbringen wir in geschlossenen Räumen, meist mit den Augen am Bildschirm, der Alltag ist sehr technisiert und unlebendig. Daher steigt die Sehnsucht nach Naturerleben, dem Ursprünglichen, nach Etwas, das sich körperlich erleben lässt. Die Wertschätzung für die Natur hat sich durch die Pandemie noch einmal gesteigert. Ich war völlig überrascht, wie viele Menschen ich auf einmal im Wald getroffen habe. Gut so!

Erschienen im DM Magazin active beauty

 
 

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