TEUFELS INSEL

Tasmanien hat die schöne Form eines Herzens. Und tatsächlich wird genau dies vor Ort ein wenig größer. Ob man nun in der Natur unterwegs ist oder unter der Erde in die Welt eines eigentümlichen Kunstsammlers eintaucht - oder in Designbauten nächtigt

Die ganze Insel spricht über ihn. Ein Ver­rückter, leicht autistisch, reich geworden durch Poker und Blackjack und selbst ausgetüftelte Gewinnsysteme für Pferde­ wetten. Ein Mathematiker, Frauensamm­ler, Veganer. Aber auch, und dafür muss man diesen David Walsh einfach lieben, ein Visionär. Einer, der die Nase voll hat von dem Image seiner Heimat, die­sem „Under Down Under“ südlich vom australischen Festland – und seine Millionen trotzdem zu Hause investiert. Weil er findet, jetzt ist mal Schluss mit Hinterwäldlertum, Backpacker­Folklore und den Provinzwitzchen hochnäsiger Festländer. Schluss mit dem Ausruhen auf dem Weltnaturerbe, zu dem die Unesco die 37 wilden Prozent des Eilands erklärt hat. Tasmanien hat mehr zu bieten. Es soll glitzern, verführen – und provozieren.

HINAB IN DEN HADES

Die Provokation taucht unerwartet auf, ein paar Kilometer außerhalb von Hobart, der kleinen Insel­hauptstadt, in der Walsh geboren ist. Die Sonne sticht senkrecht vom Himmel und versil­bert den knallblauen Derwent River. Mitten im Fluss auf der Insel Mooril­la fläzt sich ein fensterloses Gebilde aus Beton und rostrotem Stahl. Wie ein feindliches Ufo kantet es seine martia­lischen Umrisse in die anmutige Landschaft. Museum of Old and New Art, kurz Mona, heißt es, was viel zu harmlos klingt gemes­sen an dem Schrecken, den es birgt. Der mit schweren Maschinen tief in die Sandsteinklippen gefräste Bau ist das größte Privatmuseum Australiens. Ganz oben führt ein Fahrstuhl hin­ ab in die Unterwelt. Ein Hades mythologischen Ausmaßes, als hätten Salvador Dalí und Graf Dra­cula ihre wirrsten Träume zusammen in einen Kel­ler gesperrt. Die Besucher irren wie Erstklässler durch ein Labyrinth auf drei Ebenen, über frei schwebende Treppen und durch tunnelartige Gän­ge, zwischen steil aufragenden, goldenen Mauern und Wänden, die zu kippen scheinen. Viele mit blassen Gesichtern. Teenager werden wieder an­hänglich und klammern sich an ihre Eltern. „Mom­my, wann gehen wir endlich?“

Das Museum am Ende der Welt zeigt einen irritie­renden Mix. Eine ägyptische Mumie im Sarg und ihr entblößtes digitales Alter Ego. Anselm Kiefers Instal­lation „Sternenfall“, eine 6,5 Meter hohe Bibliothek aus Blei und geborstenem Glas. Jenny Savilles Ölbild „Matrix“, auf dem ein Frauenkörper mit Männerkopf die Beine spreizt und eine fleischige Vagina präsentiert. Spätestens vor Wim Delvoyes „Cloaca“ schüt­telt sich jeder – die raumgreifende Apparatur produ­ziert aus echten Rinderkadavern echte Exkremente. Doch nicht einmal am stillen Örtchen findet der Be­sucher Ruhe. Es ist mit einem Spiegel ausgestattet, der es erlaubt, die eigenen Ausscheidungsorgane bei der Arbeit zu betrachten.

Kunst im Keller: Mit einem Lift fährt man hinab zu den provokanten Exponaten in die Unterwelt des Mona

BLOß KEINEN KONSENS

„Menschen, die ficken, Menschen, die sterben – das sind doch die Sachen, über die man am liebsten spricht“, sagt der Erbauer des Kunsttempels. Gedeih und Verderb, Eros und Tod, Exhibitionismus und Vo­yeurismus, solche Themen bewegen David Walsh. Zuerst zeigte er nur das Altertum. Als keiner kam, baute er sein Museum neu, als „subversives Disney­land“ mit einer Fläche von 6000 Quadratmetern, auf denen er eine Auswahl seiner Privatsammlung aus­ stellt, die mehr als 2000 Kunstwerke und Artefakte umfasst. 80 Mio. australische Dollar hat ihn das Mu­seum gekostet, mindestens 100 Mio. die Kunst dar­ in. Er hat sie weltweit in Galerien und Auktionshäu­sern aufgetrieben, und nun sei er arm, sagt er ohne jedes Bedauern. Dabei ist sein Museum ohne An­spruch auf Ewigkeit. Irgendwann wird der Bau wahr­scheinlich vom stetig ansteigenden Derwent River überschwemmt werden. Walsh wuss­te von Anfang an um dieses Zukunftsszenario, zieht aber gegenwärtige Fragen vor. Die beliebtesten Werke aus dem Mona will er bald austauschen. Bloß keine gefällige Kunst, bloß keinen Konsens. Buch­stäblich über den Dingen möchte er stehen: Sein Penthouse auf dem Museumsdach hat einen einseitig verspiegelten Glasboden. Er kann hinunterschauen auf sein Werk und auf die Menschen, die es betrachten. Als „Tasmanischer Teufel“ wurde er in der austra­lischen Presse bezeichnet. So heißt ein Raub­tier, das auf dem Festland seit Jahrhunderten aus­ gestorben ist. Nur in Tasmaniens struppigen Eukalyptuswäldern lebt es noch, berüchtigt für sein lautes Kreischen und die aggressive Neugier gegen­ über jedem, der ihm in die Quere kommt.

Ausgespuckt von den Katakomben des Mona, muss man erst einmal Luft holen. Auf den abend­lichen Fluss schauen, wie die Wellen heranrollen, anschwellen, vergehen. Gut, dass Walsh, der abge­brochene Student und Glücksspieler, auf der Insel Moorilla auch Wein anbaut, Bier braut und ein Res­taurant betreibt. Neben seinem Museum liegt das verglaste The Source. Zu grünem Spargel und geschäumtem Ziegenkäse beruhigt ein kräftiger Char­donnay die Sinne. Die acht luxuriösen Pavillons, die man mieten kann, stehen zum Glück nicht weit. Hell, großzügig, mit breiten Fenstern, grandiosem Blick und Designinventar, behaupten sie sich als Antithese zum Kabinett des Kunstfanatikers.

IM INNEREN DES STACHELROCHENS

Doch nicht einmal Tasmaniens Oberteufel kann einen ewig fesseln. „Fahren Sie die Ostküste Rich­tung Norden. Dort ist es ganz lieblich, anders als hier“, wispert eine ältere Lady am Ausgang des Walsh’schen Imperiums. Die Ostküste also. Die ehe­malige Gefängnisinsel Tasmanien, mit 297 Längen­ und 315 Breitenkilometern knapp so groß wie Bay­ern, ist geformt wie ein Herz. Auf den Straßen herrscht Linksverkehr, auf der rechten Seite wogt das Blau des Pazifischen Ozeans. In der Great Oyster Bay nahe der Stadt Swansea tauchen zwei Delfine gemeinsam auf und wieder unter wie verliebte Syn­chronschwimmer. Sich ihnen anzuschließen über­legt man sich zweimal. Tasmaniens Winter ist mild, der Sommer von Dezember bis Februar kühl, selten steigt die Lufttemperatur über 20 Grad, und das Wasser schafft es gerade einmal auf 16 bis 18 Grad.

Nach 140 Highway­ Kilometern erhebt sich auf einer Halbinsel ein riesiges Wesen elegant aus den Eukalyptuswäldern. Das Saffire Freycinet erinnert mit seiner Architektur an einen überdimensionier­ten Stachelrochen, der über Wald und Wasser zu den rötlich schimmernden Granitfelsen auf der anderen Seite der Coles Bay schwebt. Das Resort liegt mitten im Freycinet­ Nationalpark. Ein einsamer, verwun­schener Ort, das nächste Dorf weit entfernt, zum weißen Strand führt ein schmaler Holzsteg. Auch dort ist es menschenleer, die Möwen dämmern un­gestört auf den bunt bewachsenen Steinen.

MAN ATMET DIE SAUBERSTE LUFT DER WELT

Etwas lebhafter geht es in der Hotellobby zu. Drei Herren sitzen beim Pinot Noir vor dem Kamin, die Hemden aufgeknöpft, die Gesichter in Aufbruch­stimmung. „Keine Stadthotels mehr, ich setze jetzt auf Strandvillen. Man muss schnell sein“, sagt einer von ihnen, die anderen nicken. „Zum Beispiel diese Lodge aus Abfallholz im Norden. Schicker Ökostil, schon gehört?“ Es sind Festland­ Australier, die ihre Investitionen in Tasmanien besprechen. Die sau­berste Luft der Welt, das klarste Wasser, die biolo­gische Vielfalt von Regenwald bis Strand – das Pfund, mit dem die Insel wuchern kann, ist ihre Natur. Und dann noch dieses ehemalige Arbeiterkind mit sei­ nem abgedrehten Kunstuniversum. Endlich kom­men neue Menschen auf die Insel, nicht nur Rucksacktouristen, sondern Besucher mit Kreditkarten. Sie wollen in Boutiquehotels übernachten und ambitionierte Speisen aus lokalen Zutaten essen. Genau wie im Saffire Freycinet. Dort, wo es sich mit 20 Bun­galow­Suiten in die Landschaft schmiegt, standen früher noch Campingwagen. Der Eigentü­mer, die tasmanische Federal Group, führt mehrere Hotels, Pubs und Klubs und die Lizenz für die Po­kermaschinen auf der Insel.

Blaue Stunde: In den Pavillons des Mona-Museums können Gäste übernachten und in den Himmel über Australien schauen

Es herrscht Gold­gräberstimmung im kleinen Tasma­nien. Das Eiland ist eine Desti­nation mit Zu­kunft. Am Nachthimmel leuchtet das Kreuz des Sü­ dens, auf dem abschüssigen Pfad zur Suite kommt ein Känguru gesprungen. Zwei Armlängen entfernt bleibt es stehen, die schönen Augen aufgerissen. Es zögert, schnaubt – und flüchtet mit Fünf­-Meter-­Sprüngen entspannt in die Dunkelheit. Hier, im Nationalpark, hat es nichts zu befürchten.

DAS MEER - EIN TEPPICH AUS AZUR

Die Saffire­-Suite macht der Natur Konkurrenz. Im Badezimmer tanzt das Licht soeben entzündeter Kerzen, große weiße Lilien verströmen ihr Aroma, ein handgeschriebener Wetterbericht für den nächs­ten Tag liegt bereit. Die Kissen auf dem Bett sind aufgeschüttelt, und unter der Decke liegt eine Wärmflasche. Im iPod­Dock läuft genau die Musik, über die man mit dem Hotelpersonal bei der langsam ge­schmorten Wachtelbrust gesprochen hat. Kann das Zufall sein?

Am Morgen darauf läuft die Natur der Suite wie­ der den Rang ab. Die Sonne wirft orangefarbene und violette Flecken auf die Felsen. Das Meer liegt ruhig da, ein Teppich in Azur. Eine einsame Schäfchen­wolke hängt über der Szene. Stunden verfließen, ohne dass irgendetwas fehlt.

Höchstens das kleine Champagnerfrühstück mit Austern, das im Tagesprogramm des Hotels empfoh­len wird. Ein paar Kilometer um die Ecke der Land­zunge liegt die Moulting Lagoon. Mitten in den sanf­ten Pazifikwellen steht ein Holztisch. Das scheinen die Tasmanier ernst zu meinen: Wer am Tisch der Freycinet Marine Farm sit­zen will, muss zunächst in ein Paar Gummistiefel und eine Fischerhose schlüpfen. In dem zünftigen Aufzug flutschen die Meeresfrüchte, begleitet vom salzig­herben Duft des Ozeans und vom Champag­ner, der mit seinen Bläschen die morgenmüden Ge­schmacksnerven wach kitzelt, besonders geschmei­dig den Gaumen hinunter. Frischer geht es wirklich nicht.

Ein Viertel der australischen Austernproduktion wird in Tasmanien aus dem Wasser gehoben. Kno­chenarbeit sei das nicht, behauptet Giles Fisher, Eigner der Freycinet Marine Farm. Er zeigt seine blanken Hände her: „Schau, alles sauber, keine Schnitte, keine Schrammen. Die Austern waren die beste Entscheidung meines Lebens.“ Vor Jah­ren sattelte er von Schafzucht auf Austern um und wurde so zum schwar­zen Schaf seiner Familie, die sich seit Generationen um die wolligen Vierbeiner kümmerte. Nun werden ihm die Austern förm­lich aus den Händen gerissen: 14 Dol­lar pro Dutzend. Ein erschwinglicher Genuss. Rundum gesund sieht Fisher aus. Kräf­tig, Stoppelhaare, meerblaue Augen. Eben wie jemand, der morgens im Ozean schwimmt, mittags ein paar seiner drei Millionen Pacific Oysters erkostet und abends surfen geht. Dass die Gäste ihn überrennen, scheint er zu genießen. Früher, bei den Schafen hinter den Bergen, war sein Tagwerk eintönig. Jetzt schreitet er wie Neptun durch die Lagune, teilt die Wellen, tätschelt die Zuchtbänke. Das Meer kräuselt sich, der Champagner plätschert weiter – es wird Zeit für etwas mehr Bodenhaftung.

Painted Cliffs: Die marmorierten Sandsteinfelsen auf dem vorgelagerten Maria Island sind ein Kunstgriff der Natur

VOR DER INSEL LIEGT NOCH EINE INSEL

Dafür sind Geoff Watson und Inger Visby zustän­dig. Ein drahtiges Gespann, er aus Sydney, sie aus Dänemark. Die beiden Naturliebhaber organisieren scheinbar mühelos mehrtägige Trips, bereiten ein himmlisches Barbecue zu und sorgen selbstlos für jene Gäste, die nach dem Aroma eines schicken Ho­tels Wanderluft schnuppern wollen. Watson und Visby würden ihre Schützlinge sogar auf dem Rü­cken tragen, wenn kein Notfall vorliegt. Ihr Revier ist Maria Island, eine Insel vor der Ostküste Tasma­niens. 19 Kilometer lang, 13 breit, erreichbar in einer halben Bootsstunde vom lebhaften Hafenstädtchen Triabunna aus.

Auf den vorgelagerten Felsen liegen Seehunde in der Sonne, dahinter schiebt sich die eigentliche At­traktion in den Blick. Eine sichelförmige Bucht mit einem unerhört perlweißen Sandstrand, der jedem Südsee­-Archipel Ehre machen würde. Maria Island steht unter Naturschutz und ist unbewohnt. Fast je­denfalls. Die Insel ist fest in der Hand mächtiger Känguru­Clans. Sie leben zwischen Eukalyptusbäu­men, auf sattgrünen Hügeln und am Strand. Da sie hier ohne natürliche Feinde ein behagliches Dasein führen, können gelegentliche Wanderer sie nicht aus der Ruhe bringen. Friedlich bieten sie ihr Fell dem warmen Sommerlicht dar, stützen malerisch das Bein auf, kratzen sich gemächlich am Hals – fehlt nur noch das Kameralächeln. Zu ihnen gesellen sich pelzige Wombats, eine Art Beuteltiere. Rund wie Bärenbabys und schnell wie Jagdhunde flitzen sie auf den Wiesen hin und her.

Der Ausflug reinigt die Sinne. Wer braucht Champagner, wenn auf Maria Island das Regenwasser so weich die Kehle runter­ rollt, Wärmflaschen, wenn die Sonne so gnädig vom Himmel scheint? Die Route führt weiter am Strand entlang, vorbei an den Painted Cliffs, Sandsteinfelsen mit psychedelisch anmuten­ dem Ringelmuster in Orange, Gelb und Rost­ rot. Die bunten Streifen wurden über Millionen Jahre von eisenhaltigem Grundwasser und salzi­ger Meeresbrandung in die Klippen gewaschen. Was wohl David Walsh zu diesem Ornament sagen wür­de? Hier steht große Kunst, einfach so. Steinalt, unvergänglich, kostenlos und unbezahlbar.

REISEINFORMATIONEN

Anreise

z. B. mit Thai Airways von Frankfurt/Main nach Sydney oder Melbourne, www.thaiair.de. Weiter nach Hobart z. B. mit Virgin Blue ab circa 150 Euro, www.virginblue.com.au

Hotel

Deluxe Suite im Saffire Freycinet für zwei Personen mit Frühstück, Lunch, Minibar, Spa-Anwendung und Touren, www.saffire-freycinet.com.au

Kunst

Das Museum for old and new Art (Mona) öffnet täglich außer dienstags von 10 bis 18 Uhr; Übernachtung für zwei Personen in einem der Pavillons inklusive Frühstück ebenfalls möglich, www.mona.net.au

Touranbieter

Eine geführte Wanderung über vier Tage: der Maria Island Walk mit Verpflegung und Übernachtung in Komfortzelten und einem historischem Gästehaus kostet circa 1600 Euro pro Person, www.mariaislandwalk.com.au

Reiseveranstalter

Der „Down Under“-Spezialist Travel Essence organisiert individuelle Tasmanienreisen, www.travelessence.de

Erschienen in How to spend it

 
 

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