INSELN DER SEHNSUCHT

Naturparadies am Äquator, São Tomé und Príncipe vor Afrikas Westküste locken mit exklusiver Einsamkeit an Traumstränden und tropischem Regenwald


Lucia will nicht schwimmen. Ihre Geschwister streben schon den Wellen entgegen. 19 Schildkrötenkinder auf ihrem ersten Gang in den Ozean: Die erste Welle spült 18 von ihnen mit – nur Lucia zögert, als müsse sie nachdenken. Will sie wirklich weg aus dem warmen Sand im Norden der Insel São Tomé? Sechs Wochen lagen die Eier im geschützten Terrain des Schildkrötenprojekts Tatô. „Fünf der sieben Meeresschildkrötenarten kommen zur Eiablage hierher“, erzählt Hipólito Lima, einer der Wächter, die die Eier auflesen, bevor sie von Hunden gefressen oder von Kindern zerdrückt werden. Vorsichtig schiebt er Lucia an, die nun gen Wasserkante eilt. Mit der nächsten Welle ist sie verschwunden. „Boa viagem“, flüstert Hipólito. Gute Reise.

NICHTS SCHEINT AUFPOLIERT

„Es ist immer ein besonderer Moment. Wir geben ihnen eine Chance. Was dann im Ozean passiert, weiß niemand.“ Der Himmel färbt sich langsam violett, es dämmert im Fischerdorf Morro Peixe auf der Insel São Tomé. Ein Paradies nicht nur für Schildkröten, das auf dem Globus aussieht wie ein Krümel vor Afrikas Westküste. Früchte und Wärme satt – die Inseln sind ein wahrer Garten Eden Was Lucia nicht weiß: Mit der Schwesterinsel Príncipe bildet São Tomé eine Republik und das zweitkleinste Land Afrikas. Nur die Seychellen sind kleiner. Noch wurden die Inseln nicht von den Massen entdeckt: Die Rundfahrt fühlt sich authentisch an, nichts scheint aufpoliert. Nicht die Schlaglöcher. Nicht die Frauen, die Wäsche oder Holz auf dem Kopf balancieren. Nicht der angolanische Hip-Hop, der aus Pick-ups dröhnt. Schon gar nicht die Kinder, die im fröhlichen Dutzend auf Besucher zustürmen. Wollen sie Süßigkeiten? „Nein, sie freuen sich nur über den Kontakt“, erklärt Valdemar Vera Cruz, der als Guide über den Krümel im Ozean führt.

48 Kilometer lang und 32 Kilometer breit, nahe am Äquator. Entsprechend heiß ist es: 29 Grad, tags und nachts. Nach zwei Tagen gewöhnt man sich an die satte Wärme. Nicht aber an die üppige Vegetation: Mango-, Papaya-, Guaven- und Brotfruchtbäume überall.

ERST WUCHS KAFFEE, DANN KAKAO

São Tomé und Príncipe wurden 1471 und 1472 von portugiesischen Seefahrern entdeckt, lange dienten die Inseln als Drehkreuz für den Sklavenhandel zwischen Afrika und Brasilien. Seit 1975 ist die Republik unabhängig, doch die Spuren des kolonialen Erbes sind noch sichtbar. Etwa bei den Roças, den Landsitzen der Plantagenherren, die wie ganze Dörfer aussahen: mit Herrenhaus, Fabriken, Kirche und Arbeiterhütten. Im 19. Jahrhundert pflanzten die Portugiesen erst Kaffee an, dann Kakao, zeitweise zählten die Mini-Inseln zu den drei größten Kakaoproduzenten der Welt. Die hier hergestellten Schokoladen begeistern Feinschmecker weltweit. Der Großteil der heutigen Kakaoproduktion wird nach Europa verschifft.

MIT SCHOKOLADE DIE SINNE ÖFFNEN

Einer, der den Kakao vor Ort verarbeitet, ist Claudio Corallo. Seine Schokoladenkreationen gibt es in Feinschmecker- Shops in New York, Paris oder Berlin zu kaufen, Kenner zählen sie zu den besten der Welt. Doch Corallo bleibt bescheiden: „Ich bin nur ein Farmer mit Respekt vor der Pflanze.“ Feine Hobel seiner Schokolade finde ich am nächsten Tag auf den Tellern des Restaurants „Roça São João de Angolares“ wieder. Chefkoch João Carlos Silva wippt, schnipst und tänzelt nonstop. „Vorm Essen muss man die Sinne öffnen“, findet er – und reicht Fruchtfleisch vom Kakao, Ingwer, Schokolade und Rotwein. Danach folgt das Acht-Gänge- Menü: von Maniok bis Maracuja – lokale Inselschätze zum Vernaschen!

TROPENTRÄUME AUF DER PRINZENINSEL
Ob die kleine Lucia auch nach Príncipe kommt? Es wäre ihr zu gönnen: 16 Kilometer lang und sechs Kilometer breit ist die „Prinzeninsel“, 30 Flugminuten entfernt von São Tomé. 7000 Menschen leben hier das „Leve, leve“-Prinzip, was so viel bedeutet wie: „immer mit der Ruhe“. Niemand bewegt sich schneller, als er muss. Die Atmosphäre gelassener Mattigkeit nehme ich dankbar auf. Und finde: Perfekter kann man sich eine Insel nicht malen – sattgrüner Regenwald bis an den Strand, Zebra- und Papageifische huschen durch das Wasser, und beim „Bridge-Dinner“ im „Bom Bom Príncipe Island Resort“ speist man im Kerzenlicht auf dem Steg. Kaum zehn Unterkünfte gibt es, doch alle besonders, etwa das Boutique-Hotel in der „Roça Sundy“ oder die Lodge am Strand „Praia Sundy“. Mindestens 90 Prozent des Personals sollen Einheimische sein, dazu hat sich das Hotel-Unternehmen HBD verpflichtet. Es bewegt sich was auf der Insel, die zum Unesco-Biosphärenreservat gekürt wurde. Damit aber das „Leve, leve“- Gefühl bleibt, setzt sich die Príncipe Trust Foundation für den Schutz von Flora, Fauna und Nachhaltigkeit ein. „Diese Insel kann eine Vorbildregion für Ökotourismus werden“, glaubt Estrela Matilde. Die Portugiesin kam für die Stiftung nach Príncipe – aus geplanten sechs Monaten wurden vier Jahre. Sie schaut auf das Meer: „Diese Insel ist ein Naturkunstwerk“. Eines, das höchstens kleine Schildkröten wie Lucia verlassen. Alle anderen wähnen sich im Paradies.

REISEPLANER


HINKOMMEN z.B. ab Frankfurt via Lissabon nach São Tomé, www.flytap.com. Flug São Tomé–Príncipe ab 130 Euro, www.stpairways.st

UNTERKOMMEN

São Tomé: Nahe der Hauptstadt São Tomé und am Strand liegt die edle „Omali Lodge“ www.omalilodge.com.

Mitten in der Natur und über dem Ozean liegt die „Mucumbli Lodge“, buchbar z.B. über https://mucumbli.mydirectstay.com

Wellenrauschen vor der Tür: Das „Bom Bom Príncipe Island Resort“ erfüllt alle Sehnsüchte www.bombomprincipe.com

ESSEN Raffiniert, unerhört lecker und mit Meerblick: die Menüs in der „Roça São João dos Angolaros“, Santa Cruz

SONSTIGES Im Kulturzentrum Cacau finden Konzerte, Vernissagen und Filmabende statt. Avenida Marginal 12, Julho, São Tomé.

SHOPPEN Schokolade/Kunsthandwerk im Shop „Ossobô EcoSocial“, Santa Casa da Misericórida.

ALLGEMEINE INFORMATIONEN

www.saotome.st und www.visitprincipe.com

Erschienen in FÜR SIE

 
 

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