DIE MAGIE ZWISCHEN DEN MAUERN

Verwunschene Sümpfe, alte Gemäuer und bizarre Steinformationen: Dartmoor kann die Sinne gründlich verwirren. Im aufsteigenden Nebel leben alte Geisterlegenden weiter

Der Butler zupft an seinen weißen Handschuhen und schaut nervös aus den Fenstern des Salons: „Hm, heute Abend könnte Nebel aufziehen. Dartmoor benimmt sich manchmal unberechenbar.“ Sagt’s, verneigt sich und schreitet davon.

Ein Blick nach draußen: tiefblauer Himmel mit gleißendem Sonnenschein. Keine Spur von Dunst oder Nebel. Und dann diese Formulierung: Dartmoor „benimmt sich“. Wie eine launische Person? Man muss sich wundern. Doch das gehört dazu, wenn man in „Bovey Castle“ zu Gast ist, einem gewaltigen Schloss aus dem Jahr 1907, das heute zu den besten Hotels der Grafschaft Devon zählt. Es liegt im Südwesten Englands – einer Landschaft, so verwunschen, dass man hier problemlos ohne Requisiten einen Thriller drehen könnte.

KNARZENDE TREPPEN, GOLDENE LÜSTER

An diesem Ort zu urlauben, ist wie ein Spaziergang durch die Kulissen des Films „Der Hund von Baskerville“. Der Gruselschocker nach dem Roman von Sherlock- Holmes-Schöpfer Sir Arthur Conan Doyle wurde 1939 passenderweise in und um „Bovey Castle“ gedreht. Dieses Schloss mit seinen knarzenden Treppen und goldenen Lüstern wirkt, als wäre die damalige Kulisse nie abgebaut worden. Noch dazu liegt es im mysteriösen Dartmoor, das sich auf der Landkarte als riesiger, graubrauner Fleck darstellt. Der 625 Quadratkilometer große Nationalpark war mal eine Hochebene aus einem einzigen Stück Granit. Doch vier Eiszeiten fraßen sich durch das Gestein. Übrig blieben seltsame Granitformationen, die von Weitem wie trutzige Burgen aussehen. Dazwischen prähistorische Steinkreise, Sumpftümpel, Brombeerhecken, Ginster. Logisch, dass hier Legenden von Druiden, Hexen und dem Leibhaftigen exzellent gedeihen konnten – und stetig weitergesponnen werden.

Ob der wunderliche Butler, der auf leisen Sohlen mit einem großen Tablett voller Geschirr und Gebäck wieder aufgetaucht ist, etwas über den mörderischen Hund weiß? Er holt tief Luft: „Vielleicht muss die Geschichte von Dartmoor umgeschrieben werden. Im Moment treibt hier eine schwarze Raubkatze ihr Unwesen. Besonders nachts. Und im Nebel.“ Gut zu wissen, falls man mal im Dunkeln vor die Tür will … Ohne eine Miene zu verziehen, spricht er diese Sätze. Der Mann sollte Schauspieler werden! Feierlich serviert er Devon Cream Tea, den regionalen Klassiker: zum duftenden Earl Grey kommen die Scones (fluffige Gebäckstücke), die man halbiert, mit Clotted Cream (ein fester Rahm) bestreicht und mit Marmelade krönt. Ein süßes Vergnügen, das jeden Gedanken an monströse Hunde (oder Katzen) im Nu vertreibt. Bereits bei der Anreise deuteten gewisse Vorzeichen darauf hin, dass diese Region die Sinne gründlich verwirrt.

IM KRIECHTEMPO IN DIE VERGANGENHEIT

Sobald man die Autobahn hinter Devons Hauptstadt Exeter verlässt, landet man auf engen, kurvigen Straßen, kaum breiter als mancher Radweg in Deutschland. Links und rechts sind sie von Mauern gesäumt, letztere überwuchert von Moos und Efeu. Manchmal wachsen ganze Bäume aus den Mauern über den Straßen zusammen, die labyrinthartig durchs Land führen. Im gemütlichen Kriechtempo reist man zurück in die Vergangenheit:

vorbei an wilden Ponys und weidenden Schafen. Weit und breit kein Mensch zu sehen. Die wenigen Dörfer liegen weit auseinander. Keine Getränkegroßmärkte oder Tierfutterhandlungen verderben den Eindruck. Stattdessen: reetgedeckte Cottages, blühende Vorgärten, handbemalte Emailleschilder vor den Pubs und Tea Rooms, die vor 200 Jahren sicher schon genauso aus sahen. Je weiter man fährt, desto stärker wird das Gefühl, durch vergangene Zeiten oder eine Filmkulisse zu reisen. Devons Südküste liegt nur etwa 40 Kilometer entfernt. Kein langer Weg, dennoch kann er leicht zum Tagesausflug geraten, da man sich a) ohnehin verfährt und b) freiwillig öfter stoppt. Schönheit erschließt sich nicht im Vorübereilen, nirgendwo gilt dies mehr als hier.

EIN HAUCH NEAPEL

Gen Süden ändert sich die Szenerie allmählich: Die Straßen werden breiter, das Blau des Himmels leuchtet mit dem Meer um die Wette. Die Stadt Torquay wird als „Königin der Englischen Riviera“ bezeichnet. Und tatsächlich könnten die pastell farbig gestrichenen Herrenhäuser auch an der Bucht von Neapel stehen. Ebenso wie die palmengesäumte Uferpromenade. Bekannteste Tochter der Stadt ist übrigens Crime-Lady Agatha Christie. Garantiert wäre auch sie beeindruckt vom Hotel „The Cary Arms“, das sich unterhalb der Steilküste an einen Felsvorsprung schmiegt. Ein herrlicher Ort: Die acht Zimmer erinnern mit ihrem luftigen Interieur an ein nobles Sommerhaus, während der Pub unten altenglische Behaglichkeit ausstrahlt. Jetzt ein Ale! Der bittere Sud gehört mit Cricket und Linksverkehr zu den englischen Vorlieben, die man nie ganz verstehen wird, aber mal probieren sollte. Also runter damit, auch wenn’s schwerfällt, so ganz ohne Kohlensäure. Dafür rutscht eine unverschämt zarte Entenbrust geschmeidig hinterher, meisterhaft angerichtet von Chefkoch Ben Kingdon, der bereits bei den „Great British Pub Food Awards“ ausgezeichnet wurde. Nur das Erwachen am nächsten Morgen übertrumpft alles: In der Bucht unterhalb des Hotels zieht ein Schwarm Delfine durch das tiefblaue Wasser – wie in einer karibischen Kronkolonie. Spätestens jetzt verfällt man diesem Flecken Erde, ach was, der gesamten Grafschaft Devon!

CORNWALL, EINE INSEL?

Doch wie sieht es weiter westlich aus? Der Fluss Tamar bildet auf weiten Strecken die natürliche Grenze zu Cornwall, dem südwestlichen Zipfel von England. Manche „Cornish People“ betrachten ihr Land daher als eigene Insel. Warum? Es müssen nostalgische Gründe sein: Die Region wurde weder von Römern noch von Angelsachsen erobert und selbst unter normannischer Herrschaft hielt man an der kornischen Sprache fest.

Die wird zwar kaum noch gesprochen, aber ein Stück Eigensinn blieb haften: „We Cornish will never agree that we are part of England“ lautet der erste Satz in einem Touristenführer. Nun gut. Auch das nahegelegene Newquay, größtes Seebad von Cornwall, quillt über vor Bars und Pubs, in denen junge Engländer im Sommer intensiv feiern. Ganz anders in der Nebensaison. Alles ruhig hier, bis auf einzelne Wanderer, Biker, Hunde und Surfer. Durchweg Engländer, was nicht weiter verwundert, denn 95 Prozent der Cornwall-Touristen kommen aus dem UK, meist aus dem verregneten Norden. Ob sich die Schönheit der Region noch nicht bis zum Kontinent herumgesprochen hat? Oder verhindern die Engländer die Eroberung durch Resteuropa mit Absicht?

HIER GEDEIHEN SUBTROPISCHE PFLANZEN

Vielleicht existiert ein geheimer Pakt: niemals das süße Geheimnis der Sommerfrische verraten! Bloß nichts vom Golfstrom erzählen! Dieser bringt Temperaturen um die 30 °C bis in den Oktober hinein, sodass hier Palmen und subtropische Pflanzen so üppig gedeihen wie sonst nur am Mittelmeer. Und nein, von den niedlichen Dörfern, den uralten Kirchen aus Feldstein und den feinsandigen Stränden muss auch niemand erfahren. Von Padstow erst recht nicht. Dieser hübsche Ort an der Mündung des Flusses Camel wird auch „Padstein“ genannt, eine Anspielung auf Starkoch Rick Stein, der die Gemeinde mit Restaurants und Delis gepflastert hat. Wer sich über diese Omnipräsenz ärgert, muss einmal im „Seafood Restaurant“ speisen. Jeder Protestgedanke verfliegt mit dem ersten Bissen: Die Variation lokaler Austern schmeckt wunderbar. Das Krebsfleisch-Mousse auf geröstetem Knoblauchbrot weckt Gelüste auf mehr, die von der gegrillten Rotbarbe elegant gestillt werden. Rick Stein spezialisierte sich bereits Mitte der 70er-Jahre auf Meeresfrüchte, schrieb Bestseller-Kochbücher und ist als TV-Koch nicht unschuldig daran, dass die „Fish and Chips“-Nation von ihrem Leibgericht ein wenig abrückt.

WENN DER HAUSHERR IN DEN SALON BITTET

Oberhalb des Trubels in den Gassen von Padstow thront ein pompöses Schloss mit Türmen und Zinnen, überwuchert von wildem Wein. Prideaux Place, verrät ein Schild. Warum nicht mal klingeln? Nach einer Ewigkeit öffnet ein Herr mit weißem Haar und pinkfarbenen Socken. Der etwas schluffige Butler? Aber nein. Peter Prideaux, der Hausherr persönlich, bittet in den Salon. Er scheint wenig verwundert über spontanen Besuch. Bald wird klar, warum: Prideaux Place ist eine Pilgerstätte für Rosamunde- Pilcher-Fans (www.prideauxplace.co.uk). In diesem Gemäuer wurden entscheidende Szenen der über hundert Verfilmungen gedreht. Und er, Peter Prideaux, Nachfahre von – Hochachtung! – Wilhelm dem Eroberer und Bewohner dieses Schlosses von 1592 in 14. Generation, zieht zufrieden an seiner Menthol-Zigarette. Selbstverständlich ist Mr. Prideaux mit Rosamunde Pilcher eng befreundet, „eine ganz liebenswerte Dame, die nur das Pech hat, dass sie zu alt ist, um ihr Vermögen noch auszugeben“, bedauert er. Von den 81 Gemächern bewohnen Peter und Gattin Elisabeth nur 20. Ach ja, die Geister eingerechnet: eine Frau, ein Kind, ein Hund. „Sehr freundliche Wesen“, betont Elisabeth. Die zwei wandeln durch die Hallen, Speisesäle, Bibliotheken, entlang der Galerie ihrer Ahnen, die in Öl verewigt in das Nichts starren. Fühlt sich seltsam an, dieses Schloss. Wie aus Raum und Zeit gefallen. Unvergänglich. Peter Prideaux nickt und grinst hintersinnig: „Ganz richtig. Auch wir haben beschlossen, für immer zu leben.“ Nach der Führung verabschiedet sich dieses entzückende Paar mit den Worten: „Wir sehen uns in dreihundert Jahren wieder.“ Etwas seltsam, aber: In diesem Land und in diesen Mauern klingt das so absolut überzeugend, dass man überwältigt zustimmen muss. Na klar! Nichts spricht dagegen, ein weiteres Mal nach Südengland zu reisen, egal wie oder wann. Ob nun in zwei, zehn oder in dreihundert Jahren wieder.“ Etwas seltsam, aber: In diesem Land und in diesen Mauern klingt das so absolut überzeugend, dass man überwältigt zustimmen muss. Na klar! Nichts spricht dagegen, ein weiteres Mal nach Südengland zu reisen, egal wie oder wann.

REISEPLANER

SCHÖNER SCHLAFEN

Bovey Castle in Dartmoor/Devon diente schon oft als Filmkulisse, u. a. für den Gruselschocker „Der Hund von Baskerville“. Heutige Gäste fühlen sich bereits vom prachtvollen Interieur oder der magischen Atmosphäre der Umgebung ausreichend inspiriert. www.boveycastle.com

South Sands in Salcombe/Devon liegt allein an einer einsamen Bucht. Stylish gestaltet. An der Strandseite alle Zimmer mit Balkon. www.southsands.com

The Cary Arms in Torquay/Devon erinnert an ein klassisches Sommerhaus. Mit beglückender Aussicht auf das Meer und die rot schimmernden Klippen der Steilküste. Nur sieben Zimmer und eine Suite. Unten im Pub des Hauses kann man ausgezeichnet speisen. www.caryarms.co.uk

The Headland Hotel am wunderschön-dramatischen Fistral Beach in Newquay/Cornwall. Sympathisches Schlosshotel mit einer breiten Auswahl an Standards und Zimmern von klassisch bis modern. Achtung: In Zimmer 103 soll eine Krankenschwester spuken, die durch Wände gehen kann. Schön und friedlich schlafen lässt es sich hier aber trotzdem. www.headlandhotel.co.uk Gleich nebenan: hübsche Cottages zum Mieten für Familien und Selbstversorger. Alle mit Küche, Bad und bis zu drei Schlafzimmern. www.headlandcottages.co.uk

Polurrian Bay Hotel thront über den Klippen der Mounts Bay ganz im Westen von Cornwall. In diesem familienfreundlichen Haus gibt es eine Kinderkrippe für die Kleinsten und einen Kids Club für die Größeren ab acht Jahren. Schön für die Eltern, die dann ungestört die romantische Umgebung erkunden können. www.polurrianhotel.com

GENIESSEN

Primrose Tea Rooms liegt zentral gegenüber der Kirche im urenglischen Bilderbuch-Dorf Lustleigh im Dartmoor National Park. Serviert werden prächtige selbst gebackene Kuchen und Scones. Natürlich muss man hier auch den berühmten Devon Cream Tea probieren. www.primrosetearooms.co.uk

Rockfish am Kai von Dartmouth. Ein typischer Fall von Understatement: wirkt auf den ersten Blick wie ein x-beliebiges Bistro, serviert aber die besten Krebsfleisch-Kreationen weit und breit. Die kommen in einer simplen Pappschachtel auf den Tisch. 8 South Embankment, Dartmouth. www.rockfishdevon.co.uk Ice

Cream Company mit herrlich aromatischen Eiskreationen, die den Hunger für Stunden dämpfen. Drei Niederlassungen in Dartmouth. Am schönsten ist der nostalgische Shop „The Good Intent“ (existiert seit 1928) in 30 Lower Street, mit Chutneys, Konfekt und Bisquits. www.dartmouthicecream.com

Hotel Tresanton Restaurant in St. Mawes. Chefkoch Paul Wadham bereitet die weltbesten Jakobsmuscheln im Pancetta- Mantel zu. Hier paaren sich England und Italien im kulinarischen Sinne auf höchst schmackhafte Weise. www.tresanton.com Cornish Pasty findet man überall an Buden und Straßenständen. Die Blätterteigwaffeln isst man aus der Tüte. Die Füllung: diverse Fleischsorten und viele Zwiebeln. Agatha Christie mahnte: „Die kornischen Pasteten sind gefährlich. In der Ferienzeit verwenden die Menschen hier alles, was ihnen unter die Finger kommt für die Füllung.“ Diese Zeiten sind definitiv vorbei.

South Devon Chili Farm Auf ihrer Farm nahe Kingsbridge/ Devon ziehen Jason Nickel und Steve Waters aus 100 Arten aus aller Welt rund 10.000 Chilipflanzen und stellen daraus feurige Pasten, Marmeladen oder Schokoladen her. Toller Shop mit Café. www.southdevonchillifarm.co.uk

LITERATUR

Cornwall & Devon von Ralf Nestmeyer (Michael Müller Verlag, 15,90 €). Klasse recherchiert, mit viel Hintergrundwissen über die Kultur und Geschichte der Regionen.

Die Muschelsucher von Rosamunde Pilcher (Rowohlt, 9,99 €). Ja, das bekannteste Pilcher-Machwerk mag kitschig sein, liefert aber auch schöne und atmosphärische Eindrücke.

Mein Cornwall. Schönheit und Geheimnis von Daphne du Maurier (Insel Taschenbuch, 6 €). Sie zog mit 19 Jahren freiwillig von London nach Cornwall. Hier fand sie die Freiheit, „Hügel zu erklimmen, ein Boot zu rudern, allein zu sein.“ All ihre Romane spielen in Cornwall.

Der Hund der Baskervilles von Sir Arthur Conan Doyle (Insel Verlag, 8 €). Gruselklassiker vom Sherlock-Holmes-Erfinder. Das Geheimnis von Sittaford von Agatha Christie (Fischer Verlag, 7,95 €). Setting: ein Landhaus in Dartmoor, na klar.

REISEINFORMATIONEN

Die Fremdenverkehrsämter VisitCornwall und VisitDevon informieren ausführlich über Unterkünfte sowie Sehenswertes: www.visitcornwall.co.uk und www.visitdevon.co.uk

 
 

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