JENSEITS VON AFRIKA
Die Kapverden bieten nichts weniger als Vielfalt: Strände, Steilküsten, grüne Täler, hohe Gipfel: alles da. Plus die Herzlichkeit der Einwohner und ihre kreolischen Rhythmen
In der Dämmerung setzt die Verwandlung ein. Die Fassaden von Mindelo leuchten nun nicht mehr rosa, hellblau oder weiß, sondern goldfarben in der untergehenden Sonne. Gassen und Straßen füllen sich mit Leben, Mopeds knattern, Teenie-Mädchen in bauchfreien Tops eilen kichernd vorbei am Café Royal in der Rua Lisboa, aus dem zackige Coladeira- Klänge hinaus in die Abendluft dringen. Das Café Royal war die Lieblingsbar der Sängerin Cesária Évora, die immer barfuß auftrat und die Musik der Kapverden in die Welt trug. Hier lebte sie, hier starb sie. In der mittelgroßen Stadt Mindelo mit 75.000 Einwohnern auf der kapverdischen Insel São Vicente. Tagsüber erinnert Mindelo mit den pastellfarbigen Häusern fast an ein kleines Havanna. Am Strand kann man in die warmen Fluten des Atlantiks eintauchen, muss aber damit rechnen, dass man mit Sand behagelt wird, denn der warme Wind weht beständig aus Nordost.
MUSIK WEHT VON ÜBERALL HERBEI
Am Hafen hauen die Fischer nach getaner Arbeit die Karten auf den Tisch, ihre Frauen sind nicht minder zackig dabei. Je dunkler es wird, desto mehr gleicht Mindelo einer Bühne. Die Musik weht von überall heran: An der Uferpromenade wird getrommelt, auf der Praça Nhô Roque tanzt ein Pärchen aneinandergeschmiegt - er im weißen Hemd, sie in Hotpants - zum wehmütigen Morna-Sound, viele schauen zu. Daneben im Saal eines alten Kolonialbaus findet ein Tanzkurs statt: „Um, dois, trés, quattro“, zählt der Lehrer auf portugiesisch und 30 Teenager suchen ihren Rhythmus.
„Musik ist ein einfacher Weg der Kommunikation. Sie eint. Die schlechten Dinge spürst du nicht nicht mehr“, sagt die Sängerin Gabriela Mendes, die mich in einem ramponierten PickUp abholt. Geschickt kurbelt sie durch schmale Gassen die Stadt bergauf bis zur Terrasse der „Terra Lodge“ mit dem wohl schönsten Ausblick über die Stadt, den Hafen, die Hügel. Gabriela ist eben von einer Tournee durch Deutschland und Italien zurückgekehrt. „Früher habe ich davon geträumt, nach Europa zu gehen. Heute nicht mehr, denn hier ist die Energie, die Kraft, die Inspiration“, betont sie. Ebenso wie ihr großes Vorbild Cesária Évora singt sie über Armut, die koloniale Vergangenheit, aber auch von Hoffnung. Dass sie Sängerin geworden ist, findet Gabriela ganz logisch: „Ich hatte eine wilde, glückliche Kindheit. Mit Essen und Liebe, mehr braucht es nicht. Musik war immer da, so normal wie Fußball“. Gabriela spricht viel über die Heimat: „Obwohl die Inseln so unterschiedlich sind. Wenn ich auf Santo Antão bin, ist das wie ein Besuch in einem anderen Land“.
Die 15 Inseln der Kapverden - neun davon bewohnt - liegen etwa 600 Kilometer von der Küste Senegals entfernt und 1500 Kilometer südlicher als die Kanarischen Inseln. Am beliebtesten bei den Touristen sind die Inseln Sal und Boa Vista wegen der Strände.
WANDERN AN TIEFGRÜNEN SCHLUCHTEN
Weniger bekannt ist die Insel Santo Antão, die ich am nächsten Tag mit der Fähre von Mindelo aus in einer Stunde erreiche. Sie gilt als Wanderparadies und soll die grünste Insel der Kapverden sein. Was ich erstmal kaum glaube, als ich von Bord gehe und nur wüstenähnliche Natur sehe. Doch je mehr sich der Bus auf der Passstraße Richtung Norden bewegt, desto verwunschener wird es. Zwischen schroffen Felsen liegen tiefgrüne Schluchten mit tropischer Vegetation. Auch diese Insel kann sich offenbar verwandeln.
AUF SERPENTINEN NACH OBEN
Auf der ersten Tour zu Fuß durch das Seitental Ribeira de Chã das Pedras auf Santo Antão bleibt mir die Luft weg: einmal wegen der wahnwitzigen Wanderwege, die in die zerklüfteten Felsen gehauen wurden und mehr noch wegen des Aufstiegs. Es geht unfassbar steil in Serpentinen hoch. Zufällig bin in einer Wandergruppe gelandet, die nur aus Profis besteht. Alle drahtig und an Steigungen gewöhnt, während ich kämpfe. Kinder in blauer Schuluniform flitzen dreimal so schnell wie ich den Berg hoch. Manchmal sitzt eine Ziege auf dem Weg, manchmal beschwert sich ein Maultier, Kühe grasen kurz vorm Abgrund. Eine Schweizerin aus der Gruppe, die selbst Touren durch die Alpen führt, rät mir: „Pro Sekunde nur ein kleiner Schritt, konzentriere Dich darauf“. Das hilft. Zu schnell war ich losgehastet, weil ich schnell oben sein wollte. Nun habe ich mehr Muße für die Umgebung: Auf terrassenartigen kleinen Flächen am Berg werden Beete geharkt, Zuckerrohr geschlagen, Maultiere mit Pflastersteinen beladen. Hier wachsen Mais, Bananen, Papayas, Maracuja, Minze und riesenhafter Oregano. Der einheimische Guide Nami erzählt, dass auf Santo Antão nach wie vor Vodoo praktiziert wird. „An Zauber glaube ich nicht, wohl aber an die Kraft der Kräuter“, so Nami. Er erklärt uns auch das speziell Kapverdische Phänomen „Morabeza“: die lebensfrohe Gastfreundschaft. Nicht nur ein Begriff, sondern ein Zustand, denn kurz darauf winkt uns eine Frau in ihr Haus herein. Wir dürfen eintreten, einfach so. Später kehren wir zum Lunch bei einer Familie ein. Mimi, eine kräftige, freundliche Frau serviert auf der Terrasse Cachupka, ein deftiger Mais-Bohnen-Eintopf mit Maniok und Piri-Piri, der mich wieder aufbaut. Ebenso wie der Blick auf den Schrittzähler: 222 Stockwerke, 21.429 Schritte und 15,5 km. Stolz.
ENDLICH ENTSCHLEUNIGT
Die Wanderung am nächsten Tag führt vom Dorf Chã de Igrea die Küste entlang. Mit der Meeresbrise in der Nase fällt das Laufen viel leichter. Ziel ist Ponta do Sol, ein Fischerdorf am nördlichsten Punkt der nördlichen Inseln. Der Ozean rauscht hier nicht, sondern donnert und knallt gegen die felsige Küste, man möchte kein Fisch in der Brandung sein. Umso relaxter die Atmosphäre an Land. Vor der Pension „Música do Mar“ sitzen drei Französinnen mit Weißwein, sie reden kaum. Vor allem schweigen sie und schauen aufs Meer. Als ich Stunden später wieder vorbeilaufe, sitzen sie unverändert da. „Non Stress“ sagt die andere, „Non Stress“ erwidert die andere. Am liebsten will ich mich dazusetzen. Stattdessen sitze ich gleich mit Carla Costa am Tisch. Sie ist in Ponte do Sol aufgewachsen und leitet die die schmucke Pension leitet und auch mal in Deutschland gelebt hat. Doch Leistungsdruck und Hektik gefielen ihr nicht: „Man arbeitet nur und ist nicht glücklich. Hier lebe und arbeite ich, wo ich mich wohlfühle, lachen, helfen, entspannen kann“. Tatsächlich wirkt in Ponta do Sol alles wie in Zeitlupe, das überträgt sich. Ich haste nicht mehr, sondern schlendere und grüße die drei Französinnen. Im Sonnenuntergang spielen junge Straßenmusiker mit Gitarre und Trommel„Sodade“ von Cesária Évora. Vermengt mit dem Rauschen des Ozeans ergibt das den unverwechselbaren Sound der Kapverden.
REISEPLANER
Reisezeit: Immer. Ganzjährig herrschen milde Temperaturen zwischen 21°C und 29°C. „Kältester“ Monat ist der Februar mit 20-25 °C.
Hinkommen: Zum Beispiel mit TAP Portugal ab Frankfurt, Düsseldorf, München, Hamburg via Lissabon. TUIfly fliegt auch nonstop von vielen deutschen Flughäfen nach Sal und Boa Vista.
Erleben: Ich begleitete einen Teil der Reise „Kapverden Best Selection“ des Kapverden-Spezialisten „Reisen mit Sinnen“: 14 Tage inkl. Flüge, Übernachtungen, Transfers, Guide und teilweise HP: ab 2990 Euro. Gereist wird in kleinen Gruppen, sehr authentische Eindrücke bekommt man durch die Besuche bei einheimischen Familien. Infos: www.reisenmitsinnen.de
Allgemeine Infos: www.kapverden.de
Erschienen in FÜR SIE