Von Monika Dittombée

DIE LIEBLINGSBÄCKERIN DER QUEEN

Vor zwei Jahren noch war sie Hausfrau und Mutter. Ihr Aufstieg beginnt, als sie die BBC-Castingshow „The Great British Bake Off“ gewinnt - und damit die Herzen der Nation. Heute schreibt die 31-Jährige sagenhaft erfolgreiche Kochbücher, Kinderbücher, Romane. So ganz nebenbei hat Nadiya Hussain für Queen Elizabeth die Torte zum 90. Geburtstag gebacken. Wie macht sie das alles bloß?

Cinderella kann einpacken. Gerade spielt sich in Großbritannien eine Geschichte ab, die jede Prinzessin ziemlich blass aussehen lässt. Die moderne Heldin heißt Nadiya Hussain - und übertrumpft Cinderella nicht nur mit ihren Talenten, sondern auch in puncto Leidenschaft, Charisma und Tatendrang, also in so ziemlich allen märchenrelevanten Kategorien. Noch vor zwei Jahren war Nadiya Hussain eine Hausfrau und Vollzeit-Mutter aus Leeds, die drei Kinder und den Haushalt managte, während ihr Mann als IT-Spezialist das Geld verdiente. Ihre liebste Beschäftigung: Backen. Sie schaute YouTube-Tutorials, experimentierte mit Rezepten, dachte sich neue aus, oft bis in die Nacht hinein. Dann geschieht so etwas wie ein Fernsehmärchen: 2015 überredet Ehemann Abdal die damals 30-Jährige zur Anmeldung bei der BBC-Show „The Great British Bake Off“, bei der die Kan- didaten zehn Folgen lang mit fantasievollen Kuchen und Törtchen überzeugen müssen. Nadiya Hussain gewinnt. Während ihrer Dankesrede schafft sie es, gleichzeitig zu strahlen und gegen Tränen zu kämpfen, als sie überwältigt stammelt: „I’m never gonna put boundaries on myself ever again. I’m never gonna say I can’t do it. I’m never gonna say maybe. I’m never gonna say, I don’t think I can. I can and I will.“ Man kann das kitschig finden – oder zutiefst anrührend. Jedenfalls trifft sie mit ihrem Gefühlsausbruch einen Nerv. „Sie wärmte die Herzen der Nation bis zur Temperatur eines Kuchens, der gerade frisch aus dem Backofen kommt“, schwärmte ein britischer Reporter. 15 Millionen Zuschauer sehen das Finale der Show, es ist die meistgesehene Sendung des Jahres in Großbritannien. So können Märchen enden, doch Nadiya Hussains Geschichte fängt erst an. Sie ziert Zeitschriftencover, gibt lange Interviews, wird in TV-Shows als Gast eingeladen. Aber es geht weiter. Über sie wird eine zweiteilige BBC-Dokumentation gedreht: „The Chronicles of Nadiya“, in der sie ihre kulinarischen Wurzeln in Bangladesch erforscht und ihre dortigen Verwandten trifft. Sie schreibt eine wöchentliche Kolumne für „The Times Magazine“. Der vorläufige Höhepunkt: 2016 darf sie den offiziellen Kuchen zum 90. Geburtstag von Queen Elizabeth II backen - eine monströse dreistöckige Torte in Violett und Gold. Nadiya Hussain neben der Queen – das ist definitiv berauschender als Cinderella beim Ball des Prinzen. Wo doch der übliche Werdegang von Castingshow-Gewinnern eher so aussieht: 15 Minuten Ruhm, und danach ab in den Keller des Vergessens. Doch bei Nadiya Hussain ist alles anders. Warum nur? Grund genug, mal hinter das Geheimnis ihres Erfolgs zu schauen, denn offenbar hat sie ein Rezept dafür, das es in dieser Zusammenstellung noch nie gegeben hat. Mit diesen Zutaten:

Sei unberechenbar
Sie gewinnt eine Back-Show – und was tut sie? Schreibt erst mal ein Kochbuch mit asiatisch inspirierten Rezepten. Nichts in „Nadiyas Kitchen“ hat etwas mit Backen zu tun, das Talent, mit dem sie berühmt wurde. Sie besetzt mal eben ein neues Terrain, kann offenbar Stroh zu Gold spinnen. „Nadiya’s Kitchen“ landet 2016 auf Platz 3 im Ranking der „Top 100 Food & Drink Books“ in Großbritannien. Gleich dahinter auf Platz 4 ihr nächstes Werk: das Kinderkochbuch „Bake me a story“, das bekannte Märchen aufgreift und spielerisch in die Rezepte einfließen lässt. Auf beiden Büchern prangt Nadiyas Lächeln. Scheinbar mühelos hat sie sich selbst als Marke etabliert.

Heul doch
Während der „Bake Off“-Show spielen sich in ihrem Gesicht ganze Kinofilme ab. Mit ihrer expressiven Mimik wirkt sie wie eine beste Freundin, die eben deutlich einen Flunsch zieht, wenn ihr etwas nicht gefällt. Klingt simpel, aber unkontrollierte Gesichtszüge und echte Emotionen sind in TV-Shows eher selten zu erleben. Nahezu unbedarft-authentisch gibt sie sich in Interviews, plaudert eben- so unbefangen über die richtige Temperatur von Eiern (zimmerwarm) wie über die Zwangsehe. Mit 19 musste sie ihren Mann Abdal heiraten. Ihr Hochzeitstag war der „unglücklichste Tag“ ihres Lebens. Heute, elf Jahre und drei Kinder später, will sie ihren „Hottie“ ein zweites Mal heiraten, diesmal aus Liebe und mit einer selbstgebackenen Hochzeitstorte. Ihre Familie erdet sie: „Meine Kinder sind das Wichtigste in meinem Leben. Nach dem gewonnenen Finale habe ich hart für unsere Work-Life-Balance gearbeitet, das dauerte ungefähr ein Jahr. Doch nun sind wir auf einem guten Weg“, erzählt sie im Interview. Mit ihrem häuslichen Hintergrund wirkt sie angenehm bodenständig. Backen ist für sie Zauberei, Essen ist Liebe. So einfach kann die Welt sein - und vielleicht stimmt das ja auch. Vielleicht braucht man diese wärmenden Gedanken genau in dieser Zeit, speziell in Großbritannien.

Falle auf
Eine wie Nadiya Hussain wird allein durch ihre Präsenz zum inspirierenden Vorbild für junge Frauen. Wer so charmant und aus eigener Kraft eine Karriere hinlegt, bei der einem schwindelig wird, kann auf keinen Fall eine unter- drückte muslimische Frau sein. Ihr Kopftuch benutzt sie wie ein modisches Accessoire ohne jede Anmutung von zurück genommerner Verschleierung. Übrigens hat sie sich mit 14 Jahren selbst für das Kopftuch entschieden, so sagt sie. Schon ihr unverkrampfter Umgang mit diesem Thema ist eine Botschaft mit Wirkung. 2016 landet Nadiya Hussain auf der „100 Women List“ der BBC, außerdem zählt sie laut dem Jahrbuch „Debrett’s“ zu den 500 einflussreichsten Menschen in Großbritannien. Dabei war das gar nicht ihre Absicht: „Niemals habe ich gedacht, dass ich für jemanden ein Vorbild sein könnte, außer für meine Kinder. Nun muss ich gestehen, dass mich der Gedanke demütig macht, ein Rollenvorbild sein zu können, speziell für junge Frauen.“

Mach weiter
Auf nahezu verspielte Weise schöpft Nadiya Hussain ihre Interessen und Talente aus, zeigt das Gegenteil eines geradlinigen Karrierewegs. Die Botschaft dahinter: Man muss nicht studieren und kann trotzdem erfolgreich sein. Man muss keine Konditorin sein und darf trotzdem der Queen zum 90. Geburtstag eine Torte backen. Man muss keine Scheu vor Emotionen haben und kann trotzdem respektiert werden. Die Selfmade-Frau erfindet sich ständig neu, und zwar in berauschender Lichtgeschwindigkeit. Die Cancen stehen sehr gut, dass die Geschichte der Nadiya Hussain weiter geht - unberechenbar wie sie begonnen hat. Im Januar ist ihr erster Roman erschienen: „The Secret Lives of the Amir Sisters“ über eine Einwandererfamilie aus Bangladesch in zweiter Generation. Und wer sich darüber wundert: Nadiya Hussain schreibt, seit sie sieben Jahre alt ist. Außerdem in Planung: Ein weiterer Roman, ein weiteres Kochbuch, ein weiteres Kinderbuch, und „etwas mit Fernsehen“ wird auch passieren, natürlich.

Erschienen in She Magazin

 
 

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