„Sollten wir Liebe viel größer denken?“
Auf der Suche nach neuen Lebensformen hat sich Anna Holfeld dreimal geoutet und mit ihrem Ex-Mann, ihrer Freundin und den zwei Teenagern eine WG gegründet
Ein Protokoll
In Monique habe ich mich verliebt, als ich sie in einem Video über den Christopher Street Day sah. T-Shirt, Basecap und der Satz „Ich bin ein schwules Mädchen“, gesprochen mit so viel Freundlichkeit. Ich war platt davon, wie man mit solch positiver Power zu sich selbst stehen kann. Spontan habe ich ihr über Facebook geschrieben, dass ich mich in sie verknallt habe. Ein Jahr dauerte es, bis die Antwort kam. Dafür ging es dann schnell: Wir trafen uns kurz nach dem CSD 2019 und waren ab da ein Paar. Die Idee, dass ich mit einer Frau glücklich sein könnte, war schon vorher in mir drin. Dieses Gefühl, dass dies eine höhere Beziehungsqualität sein könnte, nach der ich mich so sehr sehne. Diese Annahme hat sich bestätigt. Etwas Weiches, Beweglicheres und Natürlicheres kam in mein Leben.
Mit meinem Ex-Mann Jan würde ich dieses Jahr 18 Jahre Beziehung oder 15. Hochzeitstag feiern, doch die Scheidungspapiere sind schon unterschrieben. Uns verbindet eine freundschaftliche Liebe, die uns über die Jahre getragen hat, mal mehr, mal weniger erotisch geprägt. Diese enge Verbundenheit besteht immer noch. Dafür bin ich dankbar, denn ich weiß, dass ich als Partnerin mit meinen Ansprüchen an eine Beziehung sehr anstrengend sein kann. Von Jan hatte ich mich vor vier Jahren schon einmal getrennt. Dann folgte ein Neuanfang mit viel Aufmerksamkeit und Sexerlebnissen. Doch bald kühlte durch den Alltag die Liebe wieder ab. Die Begegnung mit Monique war nicht der Grund für die erneute Trennung, eher der Auslöser. Dass ich in ihr so viel gefunden habe, wonach ich mich immer gesehnt habe, war der Schub zu dem Entschluss: Ich will mich endgültig trennen. Ich habe verschiedene Outings hinter mir. 2016 bin ich 40 geworden. Eine Zäsur. Wer bin ich als Frau? Die Frage war auf einmal unheimlich wichtig. Ich fing an, mich zu entdecken, habe Frauen- und Körperseminare besucht, meine Sexualität erforscht, gemeinsam mit Jan auch Tantrakurse ausprobiert. Damit habe ich neue Stärke und Sinnlichkeit gefunden. Früher trug ich praktische Klamotten, T-Shirt und Jeans. Nun liebe ich Kleider und längere Haare und fühle mich bei mir selbst.
“Dieses Aushandeln war die Befreiung”
2017 folgte das Outing zur Polyamorie, ich begann offen darüber zu sprechen, dass ich mehrere Menschen gleichzeitig lieben kann und möchte. Meiner Überzeugung nach tragen alle Menschen diese Fähigkeit in sich, aber dazu gehört auch ein bestimmtes Lebenskonzept. Jan war einverstanden, dass ich eine zweite Beziehung mit einem anderen Mann führte. Danach folgte Outing Nummer drei, meine Bisexualität. Ich fand in Berlin einen Verein für Menschen, die mit ihrer sexuellen Orientierung anders leben. Dort fühle ich mich richtig. Mir ist es sehr wichtig, dass ich mit jeder einzelnen Person abmache, welche Art Beziehung ich zu ihr haben will, unabhängig von Etiketten: Welche Dinge will ich mit dir teilen? Welche nicht? Dieses Aushandeln war die Befreiung. Das Gegenteil zu verkrusteten Strukturen, an denen so viele Paare hängen. Etwa, dass man alles – ob Sex oder Geld – teilen soll, nur weil man verheiratet ist. Man kann doch entspannt schauen: Was passt alles in unser Beziehungsgefäß rein? Mit Freiraum und Grenzen, die wir selbst bestimmen.
“In der Schule geben sie sogar mit uns an”
Für Monique ist das Familienleben etwas komplett Neues. Doch sie fügt sich so geschmeidig ein, als hätte sie ihr Leben lang drauf gewartet. Meine Jungs kommen mit eigenen Themen zu ihr, ob Fußball, Football oder Shopping. Ich selbst bin dankbar, dass es trotz der Trennung von Jan eine prima Option ist, noch zusammenzuwohnen. Wir leben in einer WG mit Regeln und Konferenzen. Die Jungs sind glücklich über diese Konstellation, denn sie bedeutet Stabilität. In der Schule geben sie mit uns und unserer WG sogar an! Als Monique und ich einmal zusammen mit meinem Sohn händchenhaltend durch die Warschauer Straße hier in Berlin liefen, fragte ich ihn spontan: „Wie ist das eigentlich für dich, eine lesbische Mutter zu haben?“ Seine Antwort: „Mama, wir leben doch im Jahr 2021.“
Florian Klampfer ist Paartherapeut und in Berlin tätig. Weitere Info unter: www. beratungspraxis-klampfer.de