WIE STOPPE ICH DAS INFO-KARUSELL?
Die Neurowissenschaftlerin Prof. Dr. Maren Unger über die richtige Dosis bei der Mediennutzung und den Sinn von Cat-Content
Beeinflusst die Nutzung digitaler Medien unser Gehirn? Jede Informationsverarbeitung verändert automatisch unser Gehirn: Es wird eine Aktivität ausgelöst, die mit dem interagiert, was wir bisher alles erlebt haben. Daher nimmt jeder Einzelne Informationen individuell und anders wahr. Bei der heutigen Fülle an Nachrichten müssen wir uns konzentrieren und fragen: Wohin richten wir unseren Fokus und unsere Aufmerksamkeit?
Genau diese Konzentration fällt schwer. Ja. Allein, wenn sich das Smartphone im gleichen Raum befindet, sorgt es dafür, dass ein Teil unserer Aufmerksamkeit auf dieses Gerät fällt. Wir sind also nicht zu 100 Prozent bei der Sache. Das passiert automatisch, und wir können nichts dagegen tun. Aber wir können das Smartphone aus dem Sichtfeld schaffen oder, noch besser, es in einen anderen Raum legen. Auch für die Arbeit am Laptop gibt es Tipps und Tricks, etwa Benachrichtigungen und Töne abstellen. Solche Dinge fallen uns schwer, weil sich unser Gehirn so gern ablenken lässt. Dabei kann es bis zu einer halben Stunde dauern, bis wir nach einer Ablenkung wieder zurück zur Konzentration kommen.
Soziale Medien suggerieren uns ein Gemeinschaftsgefühl. Es kommt auf die Dosis an. Die Idee hinter den sozialen Medien ist: in Kontakt mit anderen Menschen zu kommen, denen wir im normalen Leben nie begegnen würde. Die Frage ist: Wie können wir dieses Potential nutzen? Etwas, indem wir mit Menschen am anderen Ende der Welt tatsächlich kommunizieren. Online treffen wir auf weitaus mehr unterschiedliche Positionen und Meinungen. Je diverser unsere Medienroutinen, umso verschiedener und bunter sind die Perspektiven, die wir kennenlernen.
Bunter als im analogen Leben? Ja, absolut. Das Bild der sogenannten Filterblase ist empirisch nicht haltbar. Allerdings kann der Effekt dieser riesigen Vielfalt auch nach hinten losgehen, indem wir uns noch mehr von Positionen abgrenzen, die unseren eigenen entsprechen. Das ist das “Rabbit Hole”-Phänomen, die Tendenz, dass wir unser eigenes Weltbild bestätigt haben wollen. Weil unser Gehirn automatisch nach Identifikation und Bestätigung über vorhandene Positionen und Rollen sucht.
Was würde helfen, damit wir dynamischer kommunizieren? Strukturen und Tools der Plattformen, besser programmierte Algorithmen, etwas, was Diversität angeht. Was ist denn “normal”? Was gehört alles dazu, was wir abbilden wollen? Hinter jedem Algorithmus stehen ja Menschen, die programmieren, die Dinge sortieren und uns zuordnen und so auch unser Verhalten steuern.
Es ist eine absolute Illusion, über alles informiert sein zu können. Die Herausforderung besteht in der Entscheidung: wohin richte ich meine Aufmerksamkeit?
Nicht wenige fühlen sich erschöpft von der Nachrichtenflut. Gesamtgesellschaftlich nimmt das Phänomen der “News-Avoidance” zu, also dass sich Menschen von den Nachrichten abwenden. Zu den am häufigsten genannten Gründen für dieses Verhalten gehört der negative Einfluss auf die eigene Stimmung durch Nachrichten und das Gefühl der Überforderung aufgrund der Nachrichtenmenge. Auf der anderen Seite des Spektrums gibt es das Phänomen der “News-Junkies”, die gar nicht genug bekommen können. Doch statt besonders gut informiert zu sein, sorgt das aufgrund der hohen Negativität in der Berichterstattung für ein zu negatives Weltbild und kann mit einer erlernten Hilflosigkeit einhergehen. Frei nach dem Motto: “Ich kann sowieso nichts ändern. Die da oben machen doch, was sie wollen.”
Fast wie ein Schutz vor zuviel Information? Erstmal müssen wir die Illusion loswerden, immer auf dem aktuellen Stand sein zu können. Dieses Info-Karussell, das ständig am Laufen gehalten wird und niemals endet. Da können wir bewusst sagen: Stopp. Die Herausforderung besteht darin, die Informationen auszuwählen. Wohin richten wir unsere wichtigsten Ressourcen, unsere Zeit und unsere Aufmerksamkeit? Es ist Illusion, über alles, was an einem Tag passiert, informiert sein zu können. Wir treffen immer eine Auswahl. Die Frage ist nicht, ob wir selektieren, sondern wie wir selektieren.
Was empfehlen Sie für einen gesunden Medienkonsum? Sich immer wieder fragen: Was passiert hier gerade? Was lasse ich da an mein Gehirn ran, und was macht das mit mir? Dabei kann es helfen, den eigenen Konsum erstmal zu notieren. Die meisten Smartphones haben mittlerweile Apps, die Auskunft, die Auskunft über Nutzungszeiten und -dauer geben. So kann ich den Status quo feststellen Dann genau schauen: Tut mir das gut? Hilft mir das weiter? Und als letzte Frage: Welche Gewohnheiten möchte ich etablieren? Damit es mir besser geht. Damit das Ziel erreicht wird, gut informiert und handlungsfähig zu sein.
Brauchen wir Cat-Content? Ja, denn auch die Nutzung von Katzenvideos ist eine emanzipatorische Entscheidung. Dabei ist es zentral, zu verstehen, dass es niemandem hilft, wenn es mir schlecht geht. Denn: Wann kann ich anderen Menschen helfen und etwas Positives beitragen? Nur wenn ich mich dazu in der Lage fühle. Daher ist es wichtig, mich selbst zu fragen: Wie möchte ich ich informieren, und welche bewusst gewählten Umschaltphasen brauche ich, damit ich mit Energie und Neugier auf mein eigenes und das Leben generell schauen kann? Da gehören auch Katzen-Videos dazu. Es gibt Studienergebnisse, die darauf hinweisen, dass Animal-Content zwischendurch sogar die Konzentration steigern kann.
Welches Thema bekommt zu wenig Aufmerksamkeit? Die Klimakrise! Seitens der Medien fehlt es dabei häufig nicht nur an Wissen, sondern auch an Verstand. Hinzu kommt ein weit verbreitetes Unvermögen, zukunftsorientiert zu denken. Statt Lösungen erhalten wir vor allem Horrorszenarien. Da müssen wir ran, alle gemeinsam. Fatalismus wird uns nicht weiterhelfen. Es gilt, das richtige Maß an Dringlichkeit zu generieren - auch mal einhergehend mit Angst, die uns spüren lässt, was wir alles verlieren werden, wenn wir jetzt nicht handeln. Das kann eine unheimliche Kraft und Energie freisetzen. Wenn wir in der Verzweiflung bleiben, können wir nichts ausrichten. Wenn wir in der Leugnung stecken, hilft das auch nicht weiter, sondern macht es sogar noch schlimmer, weil die Zerstörung unserer eigenen Lebensgrundlage weitergeht.
Wie könnten Medien dabei helfen? Wir brauchen mehr Content, der vermittelt, der einordnet und übergeordnet die Frage stellt: Wie kann es weitergehen? Als Individuum, als Familie, als Stadt und Land, als Gesellschaft, als Weltgemeinschaft. Und wir selbst sollten viel mehr nach vorn gerichtete Fragen stellen: Wofür sind wir statt wogegen? Dann kommen wir in einen ganz anderen Bewegungs- und Handlungsmodus.
PROF. DR. MAREN UNGER
Lehrt Medienpsychologie an der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft (HMKW) in Köln, sie gründete mit “Perspective Daily” das erste werbefreie Online-Medium für Konstruktiven Journalismus und schrieb die beiden Bestseller: “Raus aus der ewigen Dauerkrise” und “Schluss mit dem täglichen Weltuntergang” (beide erschienen bei Droemer).
Erschienen in BRIGITTE WOMAN