SÜßES NICHTSTUN

Langeweile macht kreativ - das klingt doch viel zu gut, um wahr zu sein. Oder was ist dran? Ein Erklärungsversuch

Ein Samstag ohne Pläne. Ganz allein. Ein herrlicher Batzen Zeit liegt vor mir. Ich empfinde albernes Glück, mit dem ich erstmal nicht umgehen kann. Die garstigen Regenschauer nehmen mir die Entscheidung ab, draußen was unternehmen zu müssen. Heute ist ein Drinnen-Tag. Was soll ich tun? Klavier üben? Kleider sortieren? Im Sinne der Recherche entscheide ich mich für: Nichts. Ganz schön schwer. Ich tue seltsame Dinge. Immer wieder renne ich zum Laptop, um was aufzuschreiben, dann muss ich unbedingt wissen, wie das Wetter in Melbourne morgen wird. Konfuse Freiheit, durchsetzt von schlechtem Gewissen: Sollte ich nicht, müsste ich nicht? Langeweile hatte ich mir ruhiger vorgestellt. Probehalber sage ich ein paarmal „Och, was für ein langweiliger Tag“ laut vor mich hin. Muss kichern, fühle mich, als würde ich Bonbons im Supermarkt klauen. Denn Langeweile hat ja fast etwas Verbotenes.

Ein Zustand mit Imageproblem

„Wer sich langweilt, ist selber langweilig“ war so ein typischer Elternsatz. Mir fällt ein 5jähriges Mädchen ein, neulich zu Besuch. Mit viel Energie zog sie sich Jacke, Stiefel, Regenhose aus, warf sich auf das Sofa und rief: „Boah, ist mir langweilig“. Langeweile als Schreckgespenst. Die Autorin Barbara Streidl führt in ihrem Buch aus, dass Langeweile als Wort erst im 18. Jahrhundert aufkam. Im bürgerlichen Zeitalter mit seinen Werten wie Leistung, Tüchtigkeit und Ehrgeiz veränderte sich die Bedeutung von Zeit. Sie wurde linear und kostbar, musste genutzt und mit Arbeit gefüllt werden.

Leere Zeit: Reichtum oder Vergeudung?

„Langeweile schürt das Feuer unserer Kreativität, daneben hilft sie uns auch jenseits der schöpferischen Tätigkeiten: Wir halten kurz inne, um dann durchzustarten,“ schreibt Streidl. Wer Langeweile bewusst annimmt, setzt der Beschleunigung etwas entgegen. Das hat auch was von Revolte, von einem geheimen Widerstand gegen Leistungsdruck. Und mehr noch: Neurologen fanden heraus, dass in den Zeiten, in denen wir Langeweile - etwa bei monotonen Tätigkeiten - empfinden, das „default mode“-Netzwerk im Gehirn aktiviert ist. Eine Art Ruhezustand, in dem wir nicht bewusst denken, sondern die Gedanken wandern lassen. Beim „Mind wandering“ werden Hirnregionen aktiv, die sich mit autobiographischen Erinnerungen beschäftigen und der „Theory of mind“, der Fähigkeit zur Wahrnehmung von Bewusstseinsvorgängen bei anderen Personen. Die US-Journalistin Manoush Zomorodi hat sich in ihrem Buch „Bored and brilliant“ mit dem Phänomen beschäftigt und findet: „Langeweile ist das Tor zum Mind wandering. Sie hilft unserem Gehirn, neue Verbindungen zu knüpfen, die alles lösen können, vom Planen eines Dinners bis hin zum Durchbruch bei der Bekämpfung der Erderwärmung“. Positiv-konstruktives Tagträumen, warum tun wir das nicht öfter?

Der Smartphone-Fluch

Weil wir uns vor Langeweile fürchten. Weil wir 24/7 beschäftigt sind. Weil Langeweile fast unmöglich ist für alle, die ein Smartphone besitzen: der erfolgreichste Langeweile-Killer überhaupt. Denn was tun wir, wenn die Bahn Verspätung hat? Wenn wir in Warteschlangen stehen oder fernsehen? Rund 88mal am Tag schauen wir auf das Handy. Smartphone-Nutzer unterbrechen alle 18 Minuten ihr Tun, um online zu sein. Man könnte auch in den Himmel schauen. Das wäre eine bewusste Entscheidung für uns selbst. Wieviel surfen, spielen, liken ist wirklich nützlich? Wieviel haben wir uns mit uns selbst beschäftigt - oder doch nur mit dem Leben der anderen?

INTERVIEW

Drei Fragen an Barbara Streidl, Autorin: „Langeweile, 100 Seiten“

Ist Nichtstun Luxus?

Wer Langeweile hat, ist meist aus der Maschine raus: Menschen in Krankenhäusern oder Altenheimen. „Working Mums“ dagegen langweilen sich nie. Langeweile ist nicht ökonomisch, nicht sinnvoll. Gerade das hat etwas Gutes.

Das wäre?

Ich weiß, dass aus Stille und Bewegungslosigkeit etwas entstehen kann. Nicht gleich ein Besteller, aber vielleicht ein erster Satz. Ich erlaube mir sinnloses Tun, male in alten Schulheften meiner Kinder herum.

Wie kann ich Langeweile aushalten?

Seit der kapitalistischen Grundidee „Zeit ist Geld“ hetzen wir, beuten die Zeit aus, beuten uns selbst aus. Wehren wir uns, bekommen wir sicher nicht mehr Geld, gewinnen aber Zeit und Gelassenheit.

Süßes Nichtstun

Tipps für mehr Kreativität

AUS DEM FENSTER SCHAUEN. Schon durch kleine Auszeiten setzen kreative Prozesse ein.

EINEN TOPF MIT WASSER FÜLLEN, Herd anstellen und zuschauen, wie das Wasser allmählich siedet.

FÜR FORTGESCHRITTENE: Zeitfresser-Spiele vom Smartphone löschen.

Literatur

„Die Freuden der Langeweile“ von Alain de Botton, Fischer, 96 S., 9 Euro. „Bored and brilliant“ (Englisch) von Manoush Zomorodi, Macmillan, 208 S., 13,21 Euro.

Erschienen in FÜR SIE

 
 

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