TRÄUM DICH SCHLAU

Unser Gehirn schläft nie: Im Traum können wir Gedichte schreiben, Dart trainieren - und uns selbst näher kommen. Ein Interview mit dem Psychologen und Traumforscher Dr. Michael Schredl

Seit über 30 Jahren führen Sie ein Traumtagebuch. Warum?

Obwohl ich beruflich anders orientiert war, habe ich mich sehr für Psychologie und Traumforschung interessiert. Dennoch konnte ich mich an meine Träume nicht erinnern. Also begann ich ein Traumtagebuch und schon nach kurzer Zeit lief es besser mit dem Erinnern. Jetzt habe ich etwa 11.000 Traum-Protokolle, die ich zur Analyse und zu Forschungszwecken nutze.

Können uns Träume in Krisen eine Richtung zeigen?

Der Traum als Botschaft? Diese Methode empfehle ich nicht, denn Träume spiegeln alles wieder. Auch Ängste, etwa vor dem neuen Job. Das heißt noch lange nicht, dass man den Job nicht machen soll. Der Traum bildet nur die Angst aus dem Wachzustand ab.

Wie gehen Sie bei der Analyse vor?

Ich schaue auf das Grundmuster, indem ich den Traum in einzelne Elemente zerlege. Angenommen, jemand träumt von einem Pferd. Zuerst frage ich, ob der Träumer Erfahrung mit Pferden hat. Dahinter steckt die Grundidee, dass der Traum aus dem Wachleben kommt. Danach geht es um das Abstrahieren: Handlungsmuster und Gefühle, die der Traum spiegelt. Hat der Träumer Angst vor dem Pferd? Läuft er weg? Das Pferd selbst hat keine Bedeutung, nur die Handlung: grast es entspannt oder stürmt es auf den Träumer zu? Dann ist das Pferd eine Möglichkeit, um Angst abzubilden. Das Element Pferd ist nicht so wichtig wie seine Wirkung: Vermeidungsverhalten aus Angst.

Verraten Träume etwas über verdrängte Wünsche?

Es sind eher unerfüllte Wünsche, die uns beschäftigen. Wenn Menschen genauer über ihre Träume nachdenken, kommen sie darauf, dass diese Wünsche aus dem Wachleben stammen, aber nicht realisiert werden. Daher geben Träume oft Anstoß, etwas zu tun. Alte Freunde werden angerufen, Zimmer aufgeräumt, Reisen gebucht. Träume helfen, uns selbst und den Umgang mit anderen Menschen zu verstehen, denn der Traum hat Zugriff auf alles, was wir je erlebt haben und auf Dinge, die uns emotional beschäftigen.

Sind wir im Traum kreativer als im Wachzustand?

Das kann man so sagen, da im REM-Schlaf das Gefühlszentrum aktiver ist als der Bereich für logisches Denken. Ungewöhnliche Assoziationen werden leichter verknüpft. Außerdem fehlt im Schlaf der Input der Umgebung: keine Lichtreize, wenig Geräusche. Wir sind ganz bei uns selbst, allein das birgt Potenzial für Kreativität.

“Kreative Menschen kommen ohne Tagträume nicht aus”

Hilft es, sich beim Einschlafen eine schöne Szene auszumalen?

Wenn der Tag stressig war und man nur kurz vor dem Einschlafen an etwas Tröstliches denkt, wird der Traum stressig sein, weil uns das stärker umtreibt. Was wir herausfanden: wenn man sich abends auf eine kreative Aufgabe konzentriert, werden die Träume kreativer. Fesselt uns die Aufgabe auch emotional, gibt es starke Effekte und die Wahrscheinlichkeit steigt, dass der Traum damit etwas anstellt. Fünf Minuten vor dem Einschlafen reichen nicht. Die Aufgabe braucht einen größeren Anteil am Tagesdenken. Der Traum liefert natürlich kein fertiges Kunstwerk, aber vielleicht eine Idee oder ein Motiv. Einmal habe ich im Traum ein Gedicht geschrieben, leider von fragwürdiger Qualität. Grundsätzlich gilt: Wer sich besser an Träume erinnert, hat häufiger kreative Träume. Für die Erinnerung hilft das Traumtagebuch neben dem Bett, in das man direkt nach dem Erwachen alles notiert.

Empfehlen Sie Tagträumen?

Kreative Menschen kommen ohne solche Techniken nicht aus. Ruhig mal bewusst die Gedanken schweifen lassen und schauen, welche Bilder kommen. Im entspannten Zustand sind die Übergänge fließend, denn das „Default Mode Network“, das Bewusstseinsnetzwerk im Gehirn - potentiell wichtig für Kreativität - ist sowohl beim Tagträumen wie auch im Schlaf aktiviert.

Stichwort luzides Träumen: kann das jeder lernen?

Das wissen wir noch nicht. Es gibt Hinweise, dass es kreativen, sensiblen Persönlichkeiten leichter fällt. Mehrere Studien zeigen, dass man die Häufigkeit luzider Träume steigern kann, z.B. mit Autosuggestion: „Heute Nacht werde ich einen luziden Traum haben“. Dann sollte man sich fünf- bis zehnmal am Tag fragen: Träume ich oder bin ich wach? Dazu die Umgebung prüfen, ob die Wachrealität so ist, wie sie sein soll, ohne bizarre Elemente. Dann beginnt man, sich das Gleiche im Traum zu fragen.

Dann lässt sich die Traum-Handlung steuern?

Das ist die Grundlage der Klartraumforschung: der Vorsatz, etwas Bestimmtes im Traum zu tun. In einer unserer Studien sollten die Probanden vom Dartwerfen träumen. Dafür wurden abends Darts geworfen und die geübten luziden Träumer trainierten im Schlaf weiter. Als sie morgens wieder Darts warfen, trafen sie besser als die Kontrollgruppe ohne Traumauftrag. Wobei auch im luziden Traum Störungen auftauchen, die nicht kontrollierbar sind: die Dartscheibe verschwindet, Pfeile verbiegen sich, jemand klopft an.

Können Träume Sie noch überraschen?

Immer. Speziell die Schöpfungskraft: jede Nacht gibt es eine neue Geschichte. Wobei ich keine Grenze zwischen Traum- und Wachzustand ziehe. Beides gehört zusammen und ist ineinander verwoben, das Gehirn befindet sich nur in einem anderen Modus des Erlebens.


LESETIPP: MAGISCHE NACHT

Packend und locker erklärt Dr. Michael Schredl, Leiter des Schlaflabors des Mannheimer Zentralinstituts für seelische Gesundheit (www.zi-mannheim.de), die wissenschaftlichen Fakten mit praktischen Tipps zum Entschlüsseln: „Träume: Unser nächtliches Kopfkino“ (Springer, 389 S., 14,99 Euro).





Erschienen in FÜR SIE

 
 

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