IM TAKT DER WELLEN
Einsame Buchten, weiße Strände und wildromantische Felsen: die Küste der Bretagne ist ewig lang und einmalig zerklüftet. Wie man sie am besten erobert? Von der Seeseite aus, im Kajak, möglichst langsam
Der Legende nach soll es 365 Inseln im Golfe du Morbihan geben. So viele wie Tage im Jahr. Kann das möglich sein? „Vielleicht nicht. Aber ich glaube, dass der Golf 365 verschiedene Gesichter und Facetten hat“, schwärmt Jules Philippe, mein Kajak-Guide – und der muss es wissen. Vor rund einer Stunde sind wir aufgebrochen, um den Golf zu erobern, das „kleine Meer“ (bretonisch: „mor bihan“) im Süden der Bretagne. Das Wasser leuchtet smaragdfarben, kleine Wellen schwappen gegen das Kajak und über uns wölbt sich ein zartblauer Himmel, durchsetzt mit milchigen Wolkentupfern. Schon nach wenigen Minuten entdecke ich den meditativen Charakter des Paddelns im Seekajak. Links das Paddel eintauchen, Wasser nach hinten wegschieben, rechts das gleiche im immer gleichen Rhythmus. Ganz nah kommen wir an die Inseln heran, in Wahrheit sind es nur 42, viele davon unbewohnt und unter Naturschutz. Ein geschütztes Revier, ideal für Einsteiger. Ich hatte mit Sturzwellen gerechnet, mit Wackelei im Kajak, auch Lernvideos zur Eskimorolle hatte ich angeschaut. Aber nix da, alles ruhig. Wir beobachten getupfte Möwenküken bei ihren ersten Flugversuchen, schimpfende Flugenten, tiefenentspannte Kormorane, die ihre Flügel in der Sonne trocknen und erst flüchten, als wir ihnen auf Paddellänge nahe kommen.
DIE AURA DER KORMORANE
Auf einer Insel haben die Kormorane mit ihren Ausscheidungen alle Bäume sterben lassen. Als schwarze Gerippe ragen sie mahnend in die Luft. Ist es das, was Jules mit der „mythischen Aura“ des Golfs meinte? Wohl doch eher die Insel Gavrinis, berühmt durch eines der bedeutendsten Megalithmonumente Europas: ein mächtiger Steinhügel, etwa 7000 Jahre alt. Daneben: die magischen Steinkreise auf der Insel Er Lannic, die an ein Mini-Stonehenge erinnern. Ich freue mich diebisch, dass wir mit den Kajaks nah ranfahren können, denn das Betreten der Insel während des Sommers ist verboten. Irritierend finde ich die Wasserflächen, die aus dem Nichts heraus losblubbern und aussehen wie Hunderte kleine Strudel: gezeitenbedingte Strömungen. Ein paar beherzte Paddelschläge bringen uns über die kreiselnden Wellen. Kann in dieser lieblichen Kulisse jemals was Bedrohliches passieren? „Nein, eher mal eine sportliche Einlage. Man sollte natürlich schwimmen können“, sagt Jules, der nach seinem BWL-Studium keine Karriere wollte und seine Tage lieber im Kajak verbringt. Kriminell geht es höchstens unter Wasser zu, wenn die Bigorneau perceur, die Gerippte Purpurschnecke ihr Unwesen treibt. Diese Meeresschnecke killt Austern, bohrt ein Loch in die Schale, so dass die Auster sich öffnen und fressen lassen muss, perfide. Der Bestand am Golf du Morbihan sei jedoch nicht gefährdet, wie ich später an Land erfahre. In rund 50 Austernfarmen wachsen die Schalentiere heran, etwa bei den „Viviers de Banastère“ auf der Halbinsel Rhys, wo man die Leckerei auf langen Holzbänken am Ort ihrer Geburt direkt am Wasser verspeisen kann, ganz ohne Chichi.
Wenige Kilometer weiter stoße ich in Sarzeau auf die nächste lokale Köstlichkeit: der würzige „Tome de Rhys“ von der Käserei „Ferme Fromagére“, aus der Milch von Kühen der bretonischen Rasse „Pie Noir“. Die schwarz-weißen Kälber im offenen Stall heißen etwa Lidrine, Lonk, Lemel, Lous, Louadin, Lezel, Lannion - alles altbretonische Namen. Passenderweise sieht der Käse-Fachmann Gurvan Bourvellec so aus, als könnte er neben Obelix im Hinkelstein-Weitwurf antreten. Erst wirkt er schroff, dann freundlich. Vielleicht eine bretonische Eigenart.
Wie hatte Jules gesagt: „Zuerst fühlen wir uns als Insulaner, dann als Golfanwohner, dann als Bretonen, dann als Europäer und zuletzt als Franzosen“. Die Betonung des Bretonischen fällt auf, auch die Hinweisschilder sind ellenlang, weil zweisprachig in Französisch und Bretonisch.
HUNDEDAMEN MIT STYLE
Eine Autostunde weiter nördlich fühlt sich die Bretagne auf einmal trubelig an. Im schmucken Mühlendorf Pont-Aven drängen sich die Touristen. Berühmt wurde Pont-Avon durch den Maler Paul Gaugain, der einige Sommer hier lebte und sich in „die fabelhaften Abstufungen, das göttliche Funkeln“ der Wälder rund um den Fluss Aven verliebte. Tatsächlich liegt das Dorf sehr idyllisch, heute ausstaffiert mit Künstlerateliers, Delikatessenläden und Souvenirshops. Sogar die Hunde tragen Pullis im bretonischen Ringeldesign, etwa von Amor Lux. Ein paar Tausend Touristen mehr kommen seit den Bretagne-Bestellern von Jean-Luc Bannalec. Gleich im ersten Band „Bretonische Verhältnisse“ geschieht ein Mord in Pont-Aven.
Inzwischen sind sechs Krimis erschienen, der Autor schreibt unter Pseudonym und soll in Deutschland und Frankreich leben. In der Bretagne reagierte man irritiert auf den plötzlichen Ansturm der Deutschen, denn das Buch wurde erst Jahre später in Frankreich verlegt. Sein Erfolg liegt nicht nur an den Morden, sondern auch in der feinen Beschreibung der Landschaft, der bretonischen Genüsse und Eigenarten, so dass der Leser sich wie ein Eingeweihter fühlt. Im Buch wohnt Kommissar George Dupin im 16 Kilometer entfernten Concarneau. Dort kann man wunderbar von der Festung „Fort du Cabellou“ auf den Atlantik schauen. Dieses Glitzern in Türkis lockt mich zurück aufs Wasser, rauf aufs Kajak.
FÜR JEDEN WIND DIE RICHTIGE ROUTE
Nun der offene Atlantik. Ich habe Respekt, zumal eine frische Brise weht. „Für jeden Wind gibt es die richtige Route. Wir fahren nahe der Küste, dort bleibt es ruhig. Die Landmasse der Bretagne ruht auf sehr altem und hartem Gestein, daher lässt man sich hier nie aus der Ruhe bringen“, beruhigt mich der Kajaklehrer Benjamin Bailly. Wir starten gegenüber von Concarneau. Sehnsüchtig schaue ich nach den weißen Stränden der Landzunge Cap Coz, wo man sehr gut den sonnigen Tag vertrödeln könnte. Die Wehmut legt sich nach zwei Paddelschlägen. Erstens ist das Wasser ruhiger als erwartet, zweitens paddeln wir an einer berückend schönen Felsküste entlang, mit feinsandigen Buchten und glasklarem Wasser, das manche Karibikinsel neidisch machen müsste. Palmen und Pinien wachsen zwischen glatten Granitfelsen heraus. Vor lauter Gucken vergesse ich das Paddeln.
Das Schöne am Kajak: die Umgebung schrumpft auf einen Ausschnitt zusammen, der sich wiederum wie unter einer Lupe von selbst vergrößert. Der Himmel sieht getupft aus, die Wolken bilden Wellenmuster. Es wirkt, als habe sich das Meer zu einem Umzug in den Himmel entschlossen. Oben Wasser, unten Wasser - oder spinne ich? Benjamin reißt mich aus der Tagträumerei. „2700 Kilometer lang ist unsere Küste und überall ist es herrlich.“ Er zeigt in den endlosen Horizont: „Am schönsten ist es auf den Glénan-Inseln da vorne. Dort sieht es aus wie in der Karibik“. Dabei dachte ich, dass ich längst an einem Traumort angekommen wäre. Im Himmel, auf dem Wasser.
REISEPLANER
HINKOMMEN
Zum Beispiel mit Air France über Paris nach Rennes, www.airfrance.de
KAJAK FAHREN
Geführte Tour im Golfe du Morbihan, z.B. mit “Kerners Kajak”, 90 Minuten inkl. Kajak, Schwimmweste, Neopren: 25 Euro, www.kerners-kayak.com
Rund um das schöne Cap Coz bietet das Centre Nautique Fouesnant Cornouaille diverse Touren an:
www.centre-nautique-fouesnant-cornouaille.com
SCHLAFEN
„Le Val de Bragnon“: charmantes Landgut mit 5 Zimmern, Garten, Pool, Sauna. www.levaldebrangon.com
“Villa des Sables“: Stylishes Stadthotel in Concarneau. DZ ab 125 Euro pro Nacht. http://villadessables.fr
„Hotel Le Cornouaille“ im Badeort Bénodet, www.le-cornouaille-hotel.com
Mehr Infos über: www.bretagne-reisen.de
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