Von Monika Dittombée
KAPITALISTEN DER ERSTEN STUNDE
Skrupellos setzt die Hanse ihre Wirtschaftsinteressen durch: Sie riskiert anderswo Hungersnöte, ruiniert Konkurrenten mit Boykotten und schreckt auch vor Kriegen nicht zurück. Über die Methoden einer Supermacht
84 Blätter brüchiges Papier, gebunden in einem Umschlag aus Pergament, zusammen gehalten von einem schlichten Lederband, erzählen von einem Kaufmannsleben aus dem 14. Jahrhundert. Vicko von Geldersen, ein Tuchhändler und Ratsherr aus Hamburg, trug alle Käufe und Verkäufe zwischen 1367 und 1392 akribisch in sein Handlungsbuch ein. Abgesehen von seinem Kerngeschäft, den Tuchen, ordert er feine Dinge wie Safran, Gewürznelken und Ingwer. Er bestellt Mandeln und Feigen aus Flandern, verhökert Eisen aus Schweden nach Flandern. Kauft Heringe aus Schonen, vertreibt Honig aus Lüneburg. Auch exotische Einzelstücke tauchen in seiner Buchführung auf: ein goldener Gürtel, ein Otternfell, ein Anker aus England, ein Leichenstein. Ob diese Dinge für den Eigenbedarf gedacht waren? Ob sie was taugten? Zu gerne würde man Vicko von Geldersen selbst befragen.
Sein sogenanntes Handlungsbuch, das heute im Staatsarchiv Hamburg lagert, zeigt nicht nur einen Ausschnitt aus der Lebenswirklichkeit eines hanseatischen Kaufmanns. Es legt auch offen, wie selbstverständlich bereits im 14. Jahrhundert auf internationalem Niveau gehandelt wurde. Ohne Bestell-Hotlines, ohne Online-Shopping, natürlich auch ohne Luftfracht. Zu Geldersens Zeit kann ein Brief von Lübeck nach Brügge mehr als vier Wochen unterwegs sein. Ein Fuhrwerk schafft kaum 30 Kilometer am Tag. Die hansischen Koggen schleppen sich oft nur mit fünf Knoten voran, kaum mehr als neun Kilometer pro Stunde. Auf dem Seeweg brauchen Reisende etwa vier Tage von Lübeck nach Danzig und neun von Lübeck nach Bergen, wenn es gut läuft. Bei schlechter Witterung können es durchaus zwei bis drei Wochen werden. Nach heutigen Maßstäben ein einziges Kommunikations- und Verkehrschoaos. Doch erstaunlicherweise funktioniert dieses verzweigte Handelssystem der Hanse, weil Kaufleute wie Vicko von Geldersen Macher sind und für ihren Profit flexible Bündnisse eingehen. Dadurch entsteht und wächst die Hanse, die nach heutigem Forschungsstand vieles nicht war, was bisher von ihr behauptet wurde.
Nämlich: kein reines, zentral gelenktes Städtebündnis, kein Verein. Sie hat keine Mitgliederlisten, keine Ländergrenzen, keine Beiträge, keinen Etat. Der Historiker und Hanse-Forscher Rolf Hammel-Kiesow umschreibt das komplexe und dynamische Gebilde als „international operierendes Netzwerk, das aus einem Zentrum, dem Hansetag, und vielen großen und kleinen Stützpunkten – Kaufmannsfirmen, Hansestädten und Niederlassungen im Ausland – bestand. Alle waren durch innovative Kommunikationsstrukturen miteinander vernetzt.“ Das klingt nahezu nach einem „Global Player“ des Mittelalters. Doch ihre Vorherrschaft und Dominanz erwirbt die Hanse keinesfalls nur durch geschicktes Verhandeln und leises Geplänkel. Nein, Erpressung, Betrug und Boykott sind durchaus übliche Methoden, um die Handelsmacht zu sichern. Die Hanse kann aggressiv handeln, wenn es nötig ist. Kann Könige besiegen. Und nicht nur das: Durch Konflikte, Kämpfe und Kriege wächst die Hanse erst zusammen, wie drei einschneidende Ereignisse aus der frühen Hansezeit dokumentieren.
1285: Was erlauben Norwegen?
Die Strategie: Marktlücke finden – Mitbewerber ausschalten –Notsituationen nutzen - Marktführer werden
Wie benimmt sich ein Unternehmen, das in einem neuen Markt Fuß fassen und expandieren will? Richtig, es muss Aufmerksamkeit erregen, sein Produkt anpreisen und die etablierten Mitbewerber verdrängen. Mit dieser Strategie versuchen es die hansischen Kaufleute im norwegischen Bergen. Auch wenn das mit der Aufmerksamkeit zunächst in einem PR-Gau mündet. Die ersten Händler aus Bremen und dem Rheinland schlagen im 12. Jahrhundert in Bergen auf –und erarbeiten sich im Handumdrehen einen miserablen Ruf am Königshof, weil sie offenbar Wein in Massen einführen. Trunkenheit und blutige Schlägereien seien die Folge, heißt es verärgert in der Sverris Saga, die zwischen 1185 und 1188 entstand. Seit Gründung der Stadt im Jahr 1070 floriert der Handel rund um den Hafen. Begehrte Tauschwaren sind Rentierhäute, Felle von Polarfüchsen, Walroßzähne (das „nordische Elfenbein“), vor allem aber ist es der Kabeljau von den Lofoten in rauen Mengen.
Im 13. Jahrhundert zählt Bergen etwa 6000 Einwohner und bis zu 3000 Handelsreisende im Sommer. Damit ist es die größte skandinavische Stadt des Mittelalters. Wichtigster Handelspartner ist England, das Norwegen mit Weizen versorgt. Ein friedliches Nebeneinander. Bis im 13. Jahrhundert die Lübecker, Stralsunder und Rostocker Kaufleute eintreffen. Wegen Getreideknappheit – England kann nicht mehr genügend Weizen liefern – bittet der norwegische König Haakon IV. den Lübecker Rat um Getreide und Malz. Gleichzeitig verbittet er sich die Einfuhr von Bier, das seinem Reiche nicht dienlich sei. Doch anstatt sofort das Geschäft zu machen, lässt Lübeck sich lange bitten. Die hansischen Kaufleute spekulieren darauf, dass sich ihre Verhandlungsposition bessert, je schwieriger die Versorgungslage im norwegischen Königsreich wird. Dass sie dabei eine Hungersnot in Kauf nehmen, ist in keiner Chronik verzeichnet, wohl aber das Einlenken des Königs, der den Hansen 1250 wesentliche Handelsvorteile zusichert. Die Folge: Das Getreide aus dem Ostseeraum verdrängt die Einfuhr englischen Weizens. Das Ziel ist erreicht, der Mitbewerber ausgeschaltet: Norwegen wird fast vollständig von deutschem Getreide abhängig. Und deutsches Bier darf nun auch in Norwegen ausgeschenkt werden.
Jedenfalls bis 1280. Erik II. wird im Alter von zwölf Jahren zum neuen König von Norwegen gekrönt. Eine Vormundschaftsregierung aus Baronen und Amtsträgern – der sogenannte „Königliche Rat“ – wirkt auf ihn ein, die Privilegien der deutschen Kaufleute zu beschneiden. Aus ihrer starken Position heraus lassen Lübeck und die wendischen Städte (Hamburg, Lüneburg, Wismar, Stralsund, Rostock, Greifswald, Stettin, Anklam) im Winter 1283/84 die Muskeln spielen und drohen mit einer Handelsblockade. Erschrocken kommt die norwegische Regierung den Deutschen so weit entgegen, so dass diese im Frühjahr 1284 wieder Schiffe nach Norwegen schicken. Doch diese Koggen werden von von Kaperern überfallen, die Alv Erlingsson, ein Vertrauter von König Erik II, ausgerüstet haben soll. Eine unverzeihliche Provokation. Die wendischen Städte mit Lübeck an der Spitze blockieren daraufhin 1285 die Handelswege nach Norwegen. Der Export von Getreide, Mehl, Bier und Gemüse nach Norwegen wird ebenso unter Strafe gestellt wie die Einfuhr norwegischer Güter. Nur Bremen widersetzt sich und wird seinerseits prompt mit einem Verkehrs- und Handelsverbot belegt. In den dänischen Meerengen patrouillieren hansische Koggen, um Schmuggel zu unterbinden.
Die Blockade wird ein voller Erfolg: Vor allem das Ausbleiben des Fischexportgeschäfts und der Getreideeinfuhr zwingen die Norweger zum Nachgeben. Der Chronist Detmar aus Lübeck, kommentiert genüsslich: „Des wart dar so grot hungher, dat se mosten to der sone ghan“ – „davon entstand dort so große Hungersnot, dass sie sich zur Sühne verstehen mußten“. Im Herbst 1285 kommt durch Vermittlung des schwedischen Königs Magnus I. in Kalmar der Frieden zwischen Norwegen und dieser Frühversion der Hanse zustande. Norwegen muss das Raubgut seiner Kaperer zurückgeben und 6 000 Mark in Silber Schadenersatz zahlen. Für die Hanse ein Erfolg auf ganzer Linie. Sie dürfen weiter in Bergen kaufen, verkaufen und Niederlassungen einrichten, ohne königliche oder örtliche Zölle zu entrichten. Dürfen ihre Waren auf eigenen Schiffen transportieren oder ihre Schiffe gewinnbringend vermieten. Die Folge: Der einheimische norwegische Fernhandel schrumpft auf ein Minimum, während der deutsche Handel in Norwegen expandiert. Um 1355 wird das Deutsche Kontor in Bergen gegründet, die „Tyske Bryggen“ (Deutsche Brücke), ein mächtiger Wirtschafts- und Finanzstandort. Aber anders als an der Wallstreet oder der Frankfurter Börse im 21. Jahrhundert kein Ort für geschniegelte Jünglinge. Das Kontor wird für die „Bergener Spiele“ berühmt, grausame Aufnahmerituale für einen Job in der „Tyske Bryggen“. Bei diesen Spielen, die immer an Pfingsten stattfinden, werden die Neulinge angeblich über einem Kamin geräuchert, ausgepeitscht, mit Fäkalien beschmiert und ins Hafenbecken geworfen. So boshaft und hinterhältig diese Riten auch sein mögen, existieren sie doch aus einem triftigen Grund: Die aus bescheidenen Verhältnissen stammenden Seemänner im Kontor wollen die Sprößlinge reicher Hansekaufleute, die „Muttersöhnchen“, fernhalten. Wer in der „Brücke“ arbeiten will, muss einstecken können. Der Umgangston ist rau.
Jedenfalls hat sich der Historiker Julius von Pflugk-Harttung 100 Jahre zuvor angesichts der Gebahren der Männer in Bergen entrüstet. Im Kontor habe anstelle der „sittigenden Frauenhand die frivole Laune der außerhalb wohnenden Dirne“ geherrscht, so dass „Sitte und Anstand allmählich zu Grunde gingen und eine ungeschlachte Rohheit grossgezogen wurde, wie sie sich sonst nur in verwilderten Kriegerhorden findet“. Das heutige Klischee der vornehmen hanseatischen Tugenden – es muss anderswo als in Bergen entstanden sein.
1358-1360: Flandern? Wer – bitte – soll das sein?
Die Strategie: Dominanz durch Zusammenschluss – Embargo – Markenbildung durch Kampfnamen
Ein Embargo gilt in der Politik als beliebtes Druckmittel, um Länder zu isolieren und an den Rand des Ruins zu führen – man denke etwa an das Handels- Wirtschafts- und Finanzembargo der USA gegen Kuba, das bereits seit mehr als 55 Jahren besteht und erst kürzlich gelockert wurde. Eine Methode der Neuzeit? Keineswegs! Bereits die hansischen Kaufleute nutzen die Durchschlagskraft umfassender Handelssperren. Was gegen das damals relativ schwache Norwegen bereits erfolgreich geprobt wurde, zwingt auch das mächtige Flandern in die Knie. Dabei tritt die Hanse auf wie eine Staatsmacht. Flandern ist im 14. Jahrhundert die größte Wirtschaftsregion Europas nördlich der Alpen mit Brügge als Drehscheibe des flämisch-englischen Handels. England liefert die kostbare Wolle, in Brügge wird sie gewebt, gefärbt und verkauft. Ferner wird mit Samt und Brokat aus Italien, mit Weinen aus Frankreich und Südfrüchten gehandelt.
Natürlich wittern auch die Deutschen ihre Chance. Seit Anfang des 13. Jahrhunderts reisen Händler aus Köln, Bremen, Hamburg und Lübeck nach Brügge. Sie schaffen die Färbestoffe heran, übernehmen die Verschiffung der Wolle aus England. Im Frühjahr 1252 sichert Gräfin Margarete II. von Flandern „allen Kaufleuten des Reiches“ Zollermäßigungen und 1253 ein allgemeines Handelsprivileg zu. In den nächsten Jahrzehnten festigen die Hansen ihre Stellung und handeln weitere Privilegien heraus: etwa das Versammlungsrecht, das Recht auf eigene Statute, sowie Handels- und Verkehrsfreiheiten. Dabei zeigt sich ein für die Hanse typisches Handlungsprinzip: Gibt man ihnen den kleinen Finger, wollen sie die ganze Hand. Rolf Hammel-Kiesow beschreibt dies so: „Es ist eine Konstante in der hansischen Geschichte, dass kurze Zeit nach dem Erhalt eines Privilegs die Klagen der hansischen Kaufleute beginnen, die zugesagten Rechte würden nicht eingehalten.“
Tatsächlich: Mitte des 14. Jahrhunderts häufen sich die Beschwerden. Über willkürliche Zollerhöhungen, Manipulationen an Waagen, und Freiheitsberaubung – man hatte niederdeutsche Kaufleute in den „steen“ geworfen, das Schuldgefängnis der Stadt, obwohl sie einen Bürgen hatten. Am 20. Januar 1358 greifen die in Lübeck tagenden Vertreter wendischer, sächsischer und preußischer Städte zu einer rabiaten Maßnahme: Die generelle Handelssperre gegen Flandern zu Land und zu Wasser. Der Boykott lässt wenig Raum für Interpretationen, die Regeln sind strikt: Kein hansischer Kaufmann soll näher an Flandern heranfahren als bis zur Maas. Es darf keine hansische Ware mehr an flandrische Kaufleute veräußert werden. Hansische Kaufleute dürfen kein flandrisches Tuch kaufen. Nichthansischen Kaufleuten wird verboten, mit flandrischen Kaufleuten in hansischen Städten Geschäfte abzuschließen. Schiffe, die in Seenot an die flandrische Küste geworfen werden, dürfen ihre Ladung nicht löschen. Der Sitz des Kontors wird in das holländische Dordrecht verlegt. Wie geplant, bleibt Flandern auf seinen Tuchen sitzen. Weder Salz aus Lübeck, noch Bier aus Hamburg, weder Heringe aus Schonen noch Wein aus dem Rheinland erreichen Brügge. Missernten und die zweite europäische Pestwelle geben Flandern den Rest. Das Ausbleiben von Getreidelieferungen aus Preußen und Osteuropa führen das Volk an den Rand einer Hungerkatastrophe. Die Blockade wird ein voller Erfolg.
Flanderns Graf Ludwig von Male muss einlenken: Im Sommer 1359 reist eine Delegation aus Flandern zu Verhandlungen nach Lübeck. Um Einigkeit zu demonstrieren, wählen die Lübecker Ratssendeboten zum ersten Mal den Kampfnamen „dudesche hense“, die „deutsche Hanse“. In allen drei übermittelten Schriftstücken taucht der Name mehrfach auf. Im Sommer 1360 erhalten die Kaufleute neue und umfassendere Privilegien. Die bislang nur für Brügge geltenden Freiheiten werden auf ganz Flandern ausgeweitet, etwa das Recht auf uneingeschränkten Einzelhandels, außerdem erklärte sich Brügge bereit, die Schulden säumiger Wirte zu begleichen, die nicht nur Herbergsväter waren, sondern oft auch den Zahlungsverkehr niederdeutscher Kaufleute mit abwickelten. Der Name „dudesche hense“ wird nach diesem Coup zu einem Synonym für eine Macht, mit der man sich besser nicht anlegt.
1361-1370 Dänemark: Ja, wir können auch Krieg!
Die Strategie: Säbelrasseln – Niederlagen aussitzen – Bündnisse schmieden – Zuschlagen
Ein Jahr später die nächste Kraftprobe. Diesmal mit einem umtriebigen und unberechenbaren Gegner. Der dänische König Waldemar IV. gilt als ehrgeizig, listig, ruchlos. Als Meister der Verhandlungskunst zögert er Vereinbarungen und Verträge heraus. Verpflichtungen kommt er später nach, ganz bestimmt. Am 22. Juli 1361 landet Waldemar, genannt „Atterdag“ mit 2.500 Söldnern auf Gotland, das zu Schweden gehört. Ausgerechnet Gotland, die blühende Insel mit der stolzen Hafenstadt Visby, das in einem alten Volkslied wie ein Schlaraffenland besungen wird:
„Nach Centnern wogen die Goten das Gold
Sie spielten mit Edelsteinen
Die Frauen spannen mit Spindeln von Gold
Aus silbernen Trögen gab man den Schweinen”.
Waldemars Coup ist mehr eine Kriegserklärung an die Hanse als an Schweden. Denn Visby ist eine der ersten und wichtigsten Niederlassungen der Hanse. Hier kreuzen sich die Seewege zwischen Russland, Livland und Lübeck. Die Eroberung Gotlands bedeutete mehr Einfluss, die Kontrolle des Russlandhandels und der Warenströme von Ost nach West und umgekehrt. Zwei Schlachten führt er gegen die eilig zusammen gestellte gotländische Schar, die vor allem aus Bauern besteht.
Am 27. Juli 1361 die dritte Schlacht. Er muss frohlockt haben, als er sieht, dass sich das Inselheer nicht hinter hohen Stadtmauern, sondern ungeschützt im freien Feld davor zum Kampf stellt. Ein Bauernheer, bewaffnet nur mit Beilen und Hacken, ohne Chance gegen die Krieger des Königs. Die Bürger von Visby schließen die Stadttore und schauen von den Zinnen herab zu, wie die Letzten ihrer 1800 kämpfenden Landsleute abgeschlachtet werden, unter ihnen sogar Alte, Kinder und Invalide. Kistenweise lässt sich Waldemar die Schätze der Insulaner bringen: Gold, Silber, Pelze. Waldemar nennt sich „Herr der Gotländer“, die Insel wird von nun an fast 300 Jahre dänisch bleiben. Ein Jahr zuvor hatte der angriffslustige König bereits das schwedische Schonen erobert und Dänemark einverleibt. Von verbrieften Privilegien hält er nichts, Zölle und Abgaben erhöht er nach Gutdünken.
Das lässt sich die Hanse freilich nicht gefallen. Auf dem Hansetag in Greifswald am 1. August 1361, nur vier Tage nach der Besetzung Visbys, treffen sich die Delegierten aus allen Städten, die sich geschädigt fühlten. Nach bewährter Manier beschließen die Vertreter der Hanse ein Handelsembargo gegen Dänemark. Doch damit nicht genug. Nach dem Erfolg der Flandern-Blockade und dem erstarkten Gemeinschaftssinn unter der neuen Marke „dudesche hense“ wird der Killerinstinkt wach. Die Kaufleute fühlen sich stark wie nie. Sie beschließen einen gemeinsamen Angriff. Eine Flotte soll die dänischen Burgen am Sund erobern. Die Hanse agiert nun als bewaffnete Macht, wie es sonst nur Fürsten und Könige wagen. Aber in der Kriegskunst sind die Hansen noch nicht sonderlich geübt. Der Lübecker Bürgermeister Johannn Wittenborg, wohl erfahren im Kommandieren, bekommt den Oberbefehl über die Hanseflotte. Ein Bürgermeister ist allerdings nicht unbedingt ein geschickter Schlachtenlenker. Mit 27 Koggen, die zu Kriegsschiffen umgerüstet wurden, und 25 kleineren Schiffen – zusammen 2800 Männern –macht sich Wittenborg im Juni 1362 auf den Weg. Sein Ziel: Helsingborg am Sund zwischen Dänemark und Schweden. Von hier wird die Durchfahrt zur Nordsee kontrolliert.
Zwölf lange Wochen belagert die hansische Kriegsflotte die Festung von Helsingborg, 16 Wurfmaschinen schleudern Tag und Nacht Steine auf die mächtige Burg, erfolglos. Dann begeht Johann Wittenborg einen folgenschweren Fehler. Er zieht seine Soldaten von den Kriegsschiffen ab und geht mit dem Heer an Land. Nur 40 Männer bleiben zur Bewachung der Koggen zurück. Für Waldemar Attendag sind die verlassenen Schiffe eine Einladung. Von See kommend überfällt er die Flotte, schneidet der hansischen Armada den Weg ab. Nur mit Mühe kann Wittenborg freies Geleit seiner ihm verbliebenen Streitmacht aushandeln. Zwar zeigt Waldemar Gnade, aber nicht Wittenborgs hansische Bundesgenossen: Auf dem Hansetag in Stralsund im Januar 1363 wird Wittenborg für sein Versagen zum Tode verurteilt und auf dem Lübecker Rathausmarkt im Spätsommer mit dem Schwert geköpft.
Mit Waldemar IV. handelt man zähneknirschend einen Waffenstillstand aus, vorerst wenigstens. Der Monarch hat sein Reich Dänemark stärker denn je gemacht, vom „stupir mundi“ – dem Staunen der Welt – ist in dänischen Chroniken die Rede, die ihn gar – eine frühe Form der PR – mit Kaiser Friedrich II,. dem Staufer vergleichen. Nun wütet er ungebremst im Sund, erhöht Zölle und Steuern nach Gutdünken, plündert hansische Koggen. Der nächste Schlag muss kommen. Der Hansetag zu Köln am 19. November 1367 widmet sich ausschließlich dem Atterdag-Problem. An der „Kölner Konföderation“, wie sie genannt wird, beteiligen sich 57 Städte von Estland bis Flandern. Ferner wird ein Bündnis mit dem neuen schwedischen König Albrecht III geschlossen. Wieder soll es Krieg geben, Lübecks Bürgermeister Brun Warendorp übernimmt das Kommando. 37 Schiffe mit 2000 Kriegern laufen im April 1368 aus. Kopenhagen wird zerstört, Helsingborg wieder belagert, diesmal zwölf Monate lang. Und jetzt fällt die Burg: Die Besatzung kapituliert, da große Teile Dänemarks bereits besetzt sind und die Lage aussichtslos erscheint. König Waldemar IV., genannt Atterdag, ist besiegt.
Im Frieden von Stralsund 1370 muss er demütigenden Bedingungen zustimmen. Die hansischen Kaufleute erhalten ihre Handelsfreiheit und die alten Privilegien in Schonen und Visby zurück. Für 15 Jahre behält die Hanse die dänischen Festungen am Öresund. Somit fließen auch alle Zollgebühren ihre Taschen. Der nächste dänische König darf nur mit Zustimmung der Hanse gewählt werden. Kaufleute zwingen einen König in die Knie: Mit diesem sensationellen Frieden steigt die Hanse endgültig zur Supermacht auf.