Wie tickt die Gen Z im Osten?

Gleich zwei Bücher beleuchten im Herbst 2025 die Stimmungslage der jungen Generation in Ostdeutschland. Warum ist die DDR immer noch ein Thema, obwohl diese jungen Erwachsenen das System nicht mal selbst erlebt hatten?

Was ist nur mit den Ostdeutschen los? Auch 35 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung klafft ein Graben zwischen dem Westen und dem Osten, lesbar in Statistiken, Umfragewerten und Wahlergebnissen. Selbst die junge Generation, die das DDR-Regime gar nicht erlebt hat, spürt dessen Langzeitfolgen bis heute. Zwei neue Bücher beleuchten das Lebensgefühl der Generation Z in Ostdeutschland. Gemeint sind die jungen Menschen, die ungefähr zwischen 1995 und 2010 geboren wurden, die ganz selbstverständlich mit Internet und sozialen Medien erwachsen wurden und als „Digital Natives“ gelten. Nora Zabel wurde 1996 in Hagenow in Mecklenburg-Vorpommern geboren. Sie studierte erst Lehramt in Rostock, dann Politikwissenschaften und Philosophie in Heidelberg und Florenz. Parallel arbeitete sie in der CDU-Landtagsfraktion, heute ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Bundestagsabgeordneten und Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Serap Güler (CDU). In ihrem aktuellen Buch “Vereint in Zerrissenheit. Die ostdeutsche Generation Z zwischen zwei Welten” (erschienen bei Droemer) schildert sie die Diskrepanz zwischen Ost und West, ebenso wie die zwischen Stadt und Land aus ihrem eigenem Erleben. Die zweite Neuerscheinung stammt von Alexander Prinz, geboren 1994: "Oststolz. Appell eines Nachwendekinds" (Droemer). Dieses Buch bildet die Sicht eines jungen Mannes aus Sachsen-Anhalt ab, der für das Dableiben im Osten plädiert, um diesen Landesteil zu stärken.

Die Traumata der Vergangenheit

Welche Perspektiven beleuchten beide Autoren? Nora Zabel verließ ihr Heimatdorf, dort, wo sie Fußball im Verein spielte und ihr Vater auf die Jagd ging. Sie erzählt von den feinen Unterschieden, die sie als Ostdeutsche in der westdeutschen Realität erlebt. Etwa, wenn sie mitbekam, wie sehr ihre westdeutschen Kommilitoninnen ihr Studium ganz selbstverständlich von den Eltern finanziert bekamen, während sie selbst Nebenjobs brauchte. Sie möchte diese real spürbare Kluft vermitteln, mit dem Blick zurück in die Vergangenheit: "Es geht bei mir nicht um die Rekonstruktion der DDR – schließlich lebt meine Generation im Hier und Jetzt. Doch dieses Hier und Jetzt lässt sich nicht verstehen ohne die Weitergabe der Traumata der Vergangenheit." Für sie bedeute das, die DDR nicht nur als Kapitel in einem Geschichtsbuch zu betrachten, "sondern als ein Erbe, das meine Generation mitträgt – auch wenn wir in einem anderen Deutschland aufgewachsen sind. Die Traumata unserer Eltern, die Unsicherheiten, die Brüche – sie sind nicht verschwunden, sie wirken nach." Ihr Appell: die Geschichte betrachten, Fragen an die Eltern stellen, gemeinsam nach vorne schauen. Ihre Betrachtungen stützt sie mit Fakten. Etwa, dass Ostdeutsche im Medienkonsum nützliche und alltagsrelevante Informationen bevorzugen, hohe Erwartungen an einen Journalismus haben, der die Anliegen der Menschen aktiv aufgreift und vorantreibt. Westdeutsche Leser würden sich dagegen stärker für Entscheidungsprozesse interessieren, während sich ostdeutsche Leser vor allem auf die Ergebnisse politischer Maßnahmen fokussieren. Ihre Schlußfolgerung: "Die Art, wie wir Medien konsumieren, wie wir Vertrauen aufbauen oder eben skeptisch bleiben, ist nicht losgelöst von der Geschichte unserer Eltern und Großeltern. Wenn die Gen Z im Osten weiterhin mit dem Gefühl aufwächst, dass Medien entweder 'agenda-getrieben' oder 'skandalisierend' sind, dann droht ein weiterer Vertrauensverlust in demokratische Institutionen".

Ein wunder Punkt. Die medialen Antennen der Ostdeutschen können als etwas geschulter und erfahrener eingestuft werden. Jeder Verdacht, jeder Anflug einer - gedacht gesteuerten Falschinformation – bringt das Vertrauen in eine öffentlich-rechtliche und neutrale Berichterstattung sicher ins Wanken. 40 Jahre sozialistische Propaganda, der Dauerstrom an Fehlinformationen zum Zustand der Wirtschaft und indoktrinierende Schulbücher, etwa im Fach Geschichte oder "Staatsbürgerkunde" – kurz "StaBü" – solche Erfahrungen bleiben als erlernte Skepsis gegenüber offiziellen Quellen und politischen Versprechen haften.

Ernüchternd lesen sich die zitierten Studien, etwa der "Bericht zum Stand der deutschen Einheit 2024", (abrufbar unter www.ostbeauftragte.de). Demnach stellen Ostdeutsche 20 Prozent der Bevölkerung, aber nur acht Prozent landen als Führungskräfte in den Medien, in der Wirtschaft gelangen sie nur zu vier Prozent in höheren Positionen. Ein Missverhältnis. Oder die Erhebung von Martin Kopplin und Olaf Jacobs für die Universität Leipzig: »Es ist kompliziert … Der Osten in den Medien«. 321 Millionen Presseartikel von 1990 bis 2025 wurden analysiert mit dem Fazit, dass ostdeutsche Perspektiven in der bundesweiten Berichterstattung selten kontinuierlich auftauchen, sondern meist nur zu zeremoniellen Anlässen wie dem 3. Oktober auftauchen. Zudem wird Ostdeutschland in der Berichterstattung häufig negativ zitiert, was sich durch Begriffe wie »abgehängt«, »unterrepräsentiert«, »rechtsradikal« oder »protestieren« manifestiert, die überdurchschnittlich häufig in Artikeln auftauchen, die sich mit Ostdeutschland befassen. Nach positiven Zuschreibungen muss man suchen.

Die Heimat nicht aufgeben

Alexander Prinz trifft in seinem "Oststolz"-Buch eine andere Tonart, persönlicher und nahbarer, was daran liegen mag, dass er eben bewusst dort geblieben ist, wo so viele junge Menschen nach der Schule nur wegwollten. Dank YouTube konnte er sich eine eigene Öffentlichkeit erschaffen, die nicht ortsgebunden sein muss, wenn sie genügend Fans findet. Als der "Dunkle Parabelritter" gilt er als erfolgreichster Content Creator der deutschen Metalszene. Zudem tritt er als Moderator, Podcaster, Streamer, Festivalveranstalter oder Betreiber eines Fair-Trade-Modelabels in Erscheinung. Er möchte weg von den Fesseln der Vergangenheit und agiert damit fernab von einem Opfermythos, wenn er schreibt: "Den Osten heute immer noch mit der DDR erklären zu wollen, ist ein Fehler, davon bin ich überzeugt. Vor allem entsetzt mich, dass es nur Opfer- oder Täter-Erzählungen gibt. Entweder ist der Osten gefüllt mit Rassisten und Mitläufern oder mit aufrechten, ehrbaren Menschen, die vom Westen gnadenlos kolonialisiert worden sind. Beides kann in seiner Absolutheit nicht richtig sein. Denn der Osten ist zuallererst ein Raum, in dem Menschen leben, und kein Symptom."

Laut Daten der europäischen Statistikbehörde Eurostat befinden sich von den zwanzig Regionen mit dem höchsten Altersdurchschnitt der EU alleine zwölf in Ostdeutschland. Auch der "Teilhabeatlas Deutschland" des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung habe Alexander Prinz die Augen geöffnet. Hier werden regionale Unterschiede in Deutschland anhand von Faktoren wie Wirtschaftskraft, Arbeitsmarkt, Infrastruktur, Gesundheit und soziale Teilhabe gelistet. Diese Karte spricht eine klare Sprache: Fast jede Region Ostdeutschlands, die nicht im unmittelbaren Speckgürtel von Berlin liegt, ist in vielen dieser Bereiche deutlich abgehängt vom westdeutschen Durchschnitt. Fast jeder ostdeutsche Kreis liegt im schlechtestmöglichen Cluster der Bewertung.

Anschaulich erzählt er vom eigenen Aufwachsen, von den Biographien der Eltern, die nach der Wende wertlos wurden, weil ihre Abschlüsse nicht mehr galten. Einige wagten mangels Alternativen den Sprung in die Selbstständigkeit und erleben nun kurz vor der Rente, Finanzkrise, Corona, Energiekrise, Inflation. "Das ist ein existentieller Schock, der bei einigen zu der radikalen Erkenntnis geführt hat, dass nur noch eine Partei helfen könnte, die das ganze System niederbrennt. Irgendetwas zwischen `alles andere hilft eh nicht mehr` und Rachegefühlen. In diesem Moment habe ich begriffen, dass ich meine Heimat nicht aufgeben darf. Dass man die Menschen hier nicht aufgeben darf – so schwer es einem hinsichtlich der politischen Entwicklung fallen mag."

Die Vorschläge der Generation Z, wie ein Zusammenwachsen besser laufen kann: Zabel empfiehlt mehr soziales Engagement der Ostdeutschen untereinander, mehr aktive Beteiligung an der Politik, indem man selbst in eine Partei eintritt und die Gründung mehr Bürgerräte, die eine direkte Mitsprache ermöglichen können, um das Gefühl der Selbstwirksamkeit zu stärken. Prinz kritisiert: "Die Wahlergebnisse im Osten sind ein direktes Ergebnis von Jahrzehnten voll von kurzsichtiger, nicht nachhaltiger und nicht volksnaher Politik". Er schlägt eine Bildungsoffensive vor, die sich auf unternehmerisches Denken, digitale Souveränität und Medienkompetenz konzentriert. Die Medien fordert er auf, keine einseitigen Ost/West-Schubladen mehr zu bedienen, sondern auf die Gründe der gesamtdeutschen sozialen Probleme und Ungleichheit zu schauen. Den Ostdeutschen selbst rät er zur Vernetzung, zur gegenseitigen Unterstützung und zu einem stabilen Selbstbewusstsein. Um einen Mut zu finden, etwas Neues zu wagen. Die Vorbilder leben noch: die Eltern dieser Autoren haben es immerhin geschafft, mit friedlichen Protesten ein Regime zu stürzen.

Erschienen in: Schleswig-Holstein am Wochenende, shz-Verlag

 
zurück zur Übersicht
 

Mehr zum Thema LEBEN

← Zur Übersicht