FÜNEN - Eine Insel und ihre Geschichten

Geister, die durch Schlösser irren, niedliche Häfen, die symphatische lebhafte Stadt Odense und natürlich Hans Christian Andersen, all dies trifft man auf der dänischen Insel Fünen

Henrik Kåg sieht aus, wie man sich einen glücklichen Dänen vorstellt. Helle Augen, blonde Haare, leicht gebräunte Haut mit Lachfältchen im Gesicht. Und dann lebt er noch an einem Ort mit dem hübschen Namen Bjørnø, auf Deutsch: Bäreninsel. Drei Hektar groß, 34 Einwohner. In Henriks Augen ist Bjørnø führend in Sachen Lebensqualität: „Wir haben ein Stadion, unseren Fußballplatz. Ein Yogaretreat, die Gymnastik im Gemeindehaus. Eine Uni, das Sommercamp. Und ein Festlokal, unser Tipi-Zelt mit Feuerstelle. Sobald wir Asphalt sehen, nennen wir es Stadt“, fügt er augenzwinkernd hinzu. Auf seinem Hof „Bjørnøgård“ kann man schlafen, Handwerkskurse belegen und den Blick auf die tiefblaue Ostsee genießen. Bjørnø gehört zu den knapp 100 Eilanden, die zusammen das Südfünische Inselmeer bilden. Nur 1,9 Seemeilen liegt Fünen entfernt, das auf Henrik wie Manhattan wirkt: „Viel zu trubelig da drüben“, findet er. Eine kleine Fähre bringt mich hinüber in die hübsche Hafenstadt Faaborg. Die nächsten Tage versuche ich herauszufinden, was Henrik mit trubelig gemeint haben könnte. Kreischen die Möwen zu laut? Sausen die Radler zu schnell die Hügel herunter? Schwimmen etwa zu viele Schweinswale gleichzeitig durch den Kleinen Belt? So sehr ich mich anstrenge: Ich finde keine Anzeichen von Hektik.

Nur eine friedliche, wellige Landschaft mit schmalen Straßen, gesäumt von properen Herrenhäusern und gepflegten Bauernhöfen unter einem weitem Himmel.

HAFENGLÜCK FÜR SEGLER

Idyllische Jachthäfen wie hier in Svendborg gibt es zuhauf im Süd­ fünischen Inselmeer, das auch “Dänische Südsee” genannt wird

1100 Kilometer Küste hat die drittgrößte Insel Dänemarks, die nur drei Autostunden von Hamburg entfernt liegt und doch ganz weit weg wirkt. Sogar Weintrauben gedeihen hier. Auf dem Weingut Skaarupøre an der Südküste entstehen dank des Mikroklimas aus den Solaris- und Rondotrauben erstklassige Weiß- und Roséweine mit Namen nordischer Gottheiten wie „Freja“. Die freundliche Winzerin Bente Rasmussen könnte mit Henrik aus Bjørnø ein gutes Paar abgeben, denke ich mir. Wenn sie nicht schon mit dem ebenso sympathischen Carsten liiert wäre.

„Nun seht, jetzt geht es los. Wenn wir am Ende der Geschichte sind, wissen wir mehr als zu Beginn. Denn es war ein böser Zauberer, es war einer der allerschlimmsten, es war der leibhaftige Teufel ...“, schrieb Hans Christian Andersen als Auftakt seiner Geschichte „Die Schneekönigin“. Dänemarks berühmtester Dichter wurde 1805 auf Fünen geboren, wuchs in einem Armenviertel in Odense auf. Erst wollte er Schauspieler werden, dann wandte er sich dem Schreiben zu: Gedichte, Romane und die 156 Märchen, mit denen er berühmt wurde.

Odense ist heute die drittgrößte Stadt Dänemarks und die größte auf Fünen. Eine freundliche Stadt voller Boutiquen, die ich am liebsten alle leer kaufen möchte, wenn mich nicht H. C. Andersen ständig ablenken würde. Überall in der Stadt ist er präsent. Der Kaiser mit den neuen Kleidern grüßt in der Fußgängerzone, der Dichter selbst sitzt einladend auf einer Bank, mit viel Platz neben sich. Im fantastisch gestalteten Museum werden Andersens Scherenschnitte und Collagen gezeigt – und das Seil, das er immer bei sich trug, um auf seinen Reisen jedes Hotel im Brandfall über das Fenster verlassen zu können. Fünsche Eigenarten eben.

„Auf Fünen ist alles anders als in der übrigen Welt, und diejenigen, die sich Zeit nehmen zu lauschen, werden dies bestimmt erfahren. Wenn die Bienen auf ihre eigene Weise summen, die Pferde wiehern und die roten Kühe brüllen, hört doch wohl ein jeder, dass es anders tönt als im übrigen Land“, schrieb der berühmteste dänische Komponist Carl Nielsen (1865–1931), der eben- falls auf Fünen geboren wurde. Hier könnten auch Märchenfiguren prima leben. Ein Ort, an dem sie nicht groß auffallen würden.

Je länger ich bleibe, desto stärker wirken sogar die Menschen auf mich wie Märchenfiguren. Logisch, dass auch der Starkoch der Insel, der vom Guide Michelin ausgezeichnete Per Hallundbæk vom „Falsled Kro“ in Millinge, in einem schmucken Häuschen aus dem 15. Jahr­ hundert residiert.

IM SANFTEN NEBEL

Die stillen Buchten von Fünen regen zum Träumen an

Im Märchen würde ihm die Rolle des Prinzen zustehen. Schon allein, weil sein Steinbuttfilet mit Austern auf Spinat zum Niederknien schmeckt. Er hat aber auch alltags­ taugliche Qualitäten: pflanzt Kräuter und Gemü­se, räuchert selbst den Fisch, backt eigenes Brot und kann sogar fluchen: „Norwegischer Lachs ist Mist!“ Ihm kommt nur schottischer Lachs auf den Teller, ganz nach Adels Art. Zur Märchentheorie passt auch, dass offenbar der Wolf den Weg nach Fünen gefunden hat. Es wurde Wolfs­DNA an ei­ nem toten Reh gefunden, und nun rätseln alle, ob der Wolf über die Hängebrücke bei Middelfart lief oder durch den Belt gepaddelt kam.

Dass Fünen voller Geschichte und Geschich­ten steckt, merkt man spätestens beim Besuch einer der 123 Schlösser und Herrenhäuser der Insel. Das prächtigste: Schloss Egeskov aus dem 16. Jahrhundert, das als schönste Wasserburg Nordeuropas gilt. Ein Märchenschloss mit „so vielen Fenstern wie Tage im Jahr, so vielen Türen wie Wochen, so vielen Kaminen wie Monaten und so vielen Türmen wie Jahreszeiten ...“, schrieb Andersen. Der Schlosspark wurde ausgezeichnet, u. a. mit dem European Garden Award, ungefähr so bedeutsam wie der EM­-Titel im Fußball. Aller­dings spukt es auf Egeskov. Es rumort die Jungfer Rigborg, die der Legende nach lebend in einer Kammer unter dem Dach eingemauert wurde. Auch auf Schloss Hindsgavl bei Middelfart soll eine weiße Lady umhergeistern, die seit Jahrhunderten ihren Bräutigam sucht.

Wenn sich die Sonne am Abend langsam ver­ abschiedet und diese helle, heitere Insel in einen Sepiaton taucht, bekommen die Konturen der Landschaft tatsächlich eine mehrdeutige Anmu­tung. Es könnte Geister geben. Sie würden ganz hervorragend hierher passen. Hans Christian Andersen muss das gewusst haben.

SCHLOSS EGESKOV

Oben im Riborgzimmer steht ein Puppenhaus, gebaut für Elfen

Dänemarks Märcheninsel

SCHLAFEN

„Broholm Slot“: Auch Hans Christian Andersen hat hier genächtigt. www.broholm.dk

„Hvedholm Slotshotel“ nahe Faaborg mit Blick auf das Südfünische Inselmeer, www.slotshotel.dk

„Bed & Breakfast Aaløkke“ in Nyborg, www.bedandbreakfastaaloekke.dk

ERLEBEN

Andersen-Festival in Odense, immer in der dritten Augustwoche, www.hcafestivals.com Heartlandfestival (Music, Art, Talks, Food), alljährlich im Juni auf Schloss Egeskov, www.heartlandfestival.dk

SHOPPEN

„Brandt Klædefabrik“, ein Zentrum für Kunst, Kultur und Design mit kleinen Boutiquen und Galerien in Odense, www.brandtsklaedefabrik.dk

AUF ANDERSENS SPUREN Einen Überblick über seine Stationen liefert die Karte http://andersenwashere.com

WEITERE INFOS www.visitfyn.de

Erschienen in FÜR SIE

 
 

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