DER GESCHMACK DES OZEANS

Herrliche Strände und Meeresfrüchte frisch aus dem Atlantik: Die Schwesterinseln Île de Ré und Île d’Oléron bezaubern mit Charme und natürlichen Schätzen

Madame Sabatier sucht ihr Abendessen. Barfuß, im schwarzen Bikini, watet sie durch das Watt und starrt nach unten. Dann ein freudiger Aufschrei: „Oui, ici!“ Mit der Hand gräbt sie durch den Matsch und zieht triumphierend eine winzige Muschel hoch: „Mit Knoblauch, Weißwein und Estragon schmeckt sie köstlich, délicieuse!“

BEVOR DAS MEER ZURÜCKKOMMT

Es ist zwei Uhr nachmittags, ein ferienblauer Sommertag auf der Île de Ré. Eine elegant gewölbte Brücke verbindet die Atlantikinsel mit La Rochelle auf dem Festland, ein Katzensprung und doch eine Reise in eine Welt, in der die Zeit langsamer zu vergehen scheint. Seit gefühlten Stunden begleite ich Madame Sabatier. Dabei wollte ich vorhin am Strand des hübschen Dorfs La Flotte nur kurz vom Rad steigen, anhalten und schauen, warum so viele Erwachsene im Sand buddeln wie Kinder: „Es ist eine Art Freizeitsport hier“, sagt sie. Die „Trophäen“ sind Schwertmuscheln, Krevetten, Taschenkrebse und „Coque“, die zart gestreifte Muschel, die meine Zufallsbekanntschaft im Matsch aufspürt. „Der Ozean ist unsere größte Speisekammer“, sagt sie, bevor sie mit ihrer Beute verschwindet: „La mer monte“, das Meer kommt zurück.

Ich setze meine Radtour fort. Die Île de Ré ist nur 30 Kilometer lang, an der schmalsten Stelle kaum 100 Meter breit und flunderflach. Das 90 Kilometer lange Netz aus Radwegen zieht sich durch Salzwiesen, Sümpfe, Pinien- und Kiefernwälder vorbei an Vorgärten, wo Hortensien, Stockrosen und riesiger Oleander in Pinktönen explodieren. Doch „Ré la Blanche“ wird die Insel auch genannt, Ré, die Weiße. Wegen ihrer gleißenden Sandstrände und der blitzblanken Fassaden der meist einstöckigen Häuser.

Schiffschaukeln: Über den Hafen von Saint-Martin-de-Ré wachen schmucke Fassaden und historische Gemäuer

Am schönsten leuchten sie in Saint-Martin-de-Ré, der Inselhauptstadt. Die Yachten sind ein bisschen stolzer, die Preise in den Boutiquen etwas höher. Während der „Grandes Vacances“, den Sommerferien in Frankreich, verwandeln reiche Familien, Politiker und Prominente das Städtchen in ein „Saint- Tropez am Atlantik“. Die Zahl der Insulaner steigt von 17000 auf 175000. Doch in der Nebensaison ist die Île de Ré ein schlafendes Schneewittchen.

WEIßES GOLD, FRISCH GESCHÜRFT

Weiter westlich, zwischen den Dörfern Ars-en-Ré und Loix, herrscht nie Trubel. Die frische Brise zerzaust das Haar, streichelt die Haut und lüftet die Seele. Sie riecht nach Salz. „Or Blanc“, das „Weiße Gold“, glitzert in den Salzgärten. Seit dem 12. Jahrhundert gewinnt man hier „Gros Sel“ und das feinere „Fleur de Sel“. Ein paar Radkilometer weiter genieße ich es mit einer zart gegrillten Dorade im Restaurant des „Le Chat Botté“ in Saint-Clément-des-Baleines: délicieuse! Und die Austern erst, die in Dutzenden Farmen gezüchtet werden. In jedem Dorf weisen Holzschilder mit der Aufschrift „Huîtres“ den Weg. Erschwingliche acht bis zehn Euro kostet das köstliche Dutzend.

Auch wenn ich mich von den Genüssen kaum losreißen kann, will ich unbedingt auch die Schwesterinsel Île d’Oléron besuchen. Sie liegt etwa eine halbe Autostunde südlich und ist ebenfalls über eine Brücke erreichbar. Dort angekommen sinke ich an der „Grande Plage“ in den Sand. Großfamilien spielen Frisbee und Boule, Surfer tanzen über schäumende Wellen. Ewig könnte ich schauen, aber ich will Weingüter besuchen und ihre Schätze verkosten.

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AUF EINEN PINEAU BEI PASCAL

Bei Pascal Favre in Saint-Pierre-d’Oleron probiere ich das gesamte Sortiment durch und bleibe schließlich bei einem geradlinig-herben Sauvignon. „Die Île d’Oléron hat viel Sonne und kaum extreme Temperaturen, das ergibt sehr harmonische Weine“, sagt der Winzer und hat recht. Er schenkt mir auch noch seinen Pineau ein. Die zuckrige Mischung aus Traubensaft und Cognac ist in der gesamten Region Poitou-Charentes als Aperitif beliebt. Et oui, auch dieser Tropfen ist betörend.

Meine Inseltour beende ich an der Plage de Gatseau. Die Wogen haben sich geglättet. Ein paar Spaziergänger waten durchs Watt. Ich ziehe die Schuhe aus und konzentriere mich ganz auf den Schlick unter meinen Füßen. Und da:

„Oui, ici! La Coque!“, rufe ich überwältigt einem älteren Mann zu. Der nickt und zeigt ein breites Lächeln. „Délicieuse!“, ruft er zurück. Sehr charmant, die Menschen auf diesen schönen Inseln.

REISEPLANER

Essen und Schlafen

„Le Sénéchal” in Ars-en Ré, Île de Ré. Hübsches Boutique-Hotel mitten im Dorf, 22 Zimmer, 5 Familienhäuschen, 2 Apartments, DZ, www.hotel-le-senechal.com

„La Rhetaise in Couarde-sur-Mer, Île de Ré. Austern frisch von der Farm an der Straße Route de Loix; ca. 8 Euro/Dutzend.

„Le Grande Large” in Dolus, Île d’Oléron. Einziges größeres Hotel der Insel, herrlich in den Dünen gelegen, 28 Zimmer, www.le-grand-large.fr

„Ô Saveurs des Îles“ in La Menouniére, kreative Küche, romantische Atmosphäre. Rue de la Plage 18, www.saveursdesiles.fr

ANREISE Flug bis Paris, zum Beispiel mit Air France (www.airfrance.com), weiter per Mietwagen bis La Rochelle auf dem Festland (ca. 460 km).

MEHR INFORMATIONEN

www.iledere.com; www.oleroninsel.de;

www.atlantikkueste-frankreich.de

Erschienen in FÜR SIE

 
 

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