HIMMEL UND HÖLLE

Mit Eisenbahnen bauen zwei Generationen Vanderbilts das größte Vermögen der Welt auf. Zwei Generationen später ist es verprasst. Glanz verströmt nur noch Gloria Vanderbilt – Truman Capotes Inspiration für „Frühstück bei Tiffany”

Der Körper hängt in seidenen Fesseln, in den Brustwarzen stecken goldene Klammern, während die Zunge des Geliebten bergab wandert, bis sich die „Bienenkönigin“ in qualvoller Lust windet und um Erlösung bettelt. Im „Janus-Club“ regiert die erotische Fantasie. Man spielt mit juwelengeschmückten Stringtangas, Perlenketten, Peitschen und Gemüse bis zur absoluten Hörigkeit.

Es geht heiß her im Roman „Die Bienenkönigin“ („Obsession – An Erotic Tale“), verfasst von einer Frau, die bei der Veröffentlichung 85 Jahre alt war. Dabei ist der saftige SM- Roman längst nicht die ungewöhnlichste Wendung im Leben der Autorin. Die heute 91-jährige Gloria Vanderbilt feierte mit Marilyn Monroe, sang mit Lauren Bacall, tanzte mit Gene Kelly, hatte Affären mit Howard Hughes, Marlon Brando, Frank Sinatra. Sie war in den 1950er-Jahren das schönste Glamourgirl der New Yorker High Society, Truman Capote schuf nach ihrem Vorbild die Holly Golightly in „Frühstück bei Tiffany“. Später war sie Schauspielerin, Designerin, Künstlerin und Autorin. Vor allem aber war und ist sie das lebende Denkmal einer der berühmtesten US-Dynastien.

Die Vanderbilts – das waren die Superreichen des 19. Jahrhunderts. Cornelius Vanderbilt begründete den sagenhaften Reichtum mit Ackerei, Disziplin und Skrupellosigkeit. Die Geschichte vom Aufstieg beginnt 1794, als Cornelius als viertes von neun Kindern in eine Familie mit niederländischen Vorfahren auf Staten Island geboren wird. Mit 17 bittet er seine Mutter Phebe, die ihre Ersparnisse in einer Standuhr hortet, um ein Darlehen von 100 Dollar. Davon kauft er ein Segelboot und befördert Passagiere zwischen Staten Island und Manhattan. Nach zwölf Monaten zahlt er seiner Mutter 1000 Dollar zurück. Während in Europa die napoleonischen Kriege toben, handelt Vanderbilt mit Fischen, Austern und Melonen, investiert in fremde Boote und hat mit 24 Jahren 9000 Dollar gespart. Als „schlanker, robuster, kräftiger Mann mit einem finsteren Gesicht von auffallend roher Kraft“ wird er von seinem Biografen Edwin P. Hoyt beschrieben.

“Vieles wurde entschieden, bevor Du geboren wurdest”

Ob er ahnte, dass der Name Vanderbilt auch vier Generationen später noch die Lebenswege seiner Nachkommen prägen wird? „Vieles wurde entschieden, bevor du geboren wurdest“ – dieser Satz ziert eines von Glorias Kunstobjekten. „Ich hatte keinerlei Verhältnis zu der Familie, in die ich hineingeboren wurde“, behauptet sie. Dennoch hat sie den Namen Vanderbilt zeitlebens nicht abgelegt. Ihr Ururopa Cornelius galt als ungeduldig, lächelte selten, sprach wenig. Doch er besaß Weitblick und Sinn für Innovationen.

Im richtigen Moment erkennt er, dass die Zeit der Segelboote abläuft. Er steigt auf Dampfschiffe um, betreibt sie als einer der Ersten mit Kohle statt Holz, ersetzt früher als die Konkurrenz die Schiffsrümpfe aus Holz durch Metall und Schaufelräder durch Schiffsschrauben. Vanderbilt verfolgt gebannt die Entwicklung der Eisenbahn, obwohl sie ihn beinahe das Leben kostet: 1833 besteigt er den Zug von New York nach Philadelphia. Nahe Hightstown bricht eine Achse, der Waggon entgleist, stürzt eine Böschung hinab. Zwei Mitreisende sterben, 20 werden verletzt. Cornelius bricht sich ein Bein. Und investiert später wie zum Trotz in das neue Verkehrsmittel, kauft ein Netz von Bahnlinien zusammen.

Er wendet dieselbe Methode an wie bei den Dampfschiffen: billig einsteigen, die Konkurrenz so lange unter Druck setzen, bis sie pleitegeht, sie dann aufkaufen und die Fahrpreise wieder nach oben treiben. Berühmt wird sein Brief an die Unternehmer Morgan und Garrison: „Meine Herren! Sie haben es gewagt, mich zu betrügen. Ich werde Sie nicht verklagen, denn die Justiz ist zu langsam. Ich werde Sie ruinieren. Hochachtungsvoll, Cornelius Vanderbilt.“

Leben in einer goldgesäumten Welt

Auch Gloria kann erbarmungslos sein. Ihren einstigen Vertrauten Truman Capote bezeichnet sie als „Scheusal“ und „kleinen Rattenfänger“. Er habe sie ausgehorcht, um an seinen Stoff zu kommen: „Truman manipulierte andere, und weil er so aufmerksam, empfindsam und außergewöhnlich war, vertraute man ihm“, schreibt sie in ihrem Buch „Damals schien all das wichtig zu sein. Die Männer meines Lebens“. Es glänzt nicht durch literarische Qualität, sondern erinnert eher an das Plappern und Rauschen einer Dinnerparty. Dennoch ist es ein Tor in eine goldgesäumte Welt, in der liebestolle Männer im Privatjet einschweben und zum Nachtflug einladen, um den Sternenhimmel zu betrachten, wie es der Milliardär Howard Hughes mit der damals 17-jährigen Gloria tat. Cornelius hätte für solche Ausschweifungen wenig übriggehabt, unnötige Ausgaben verabscheute er.

Der König der Dampfschiffe, Beiname „Commodore“, transportiert 1855 seine Passagiere erstmals über den Atlantik. Für 80 Dollar, die Hälfte des Normalpreises. Zeitungen kritisieren den Schmutz, die Überfüllung und Gefährdung der Passagiere auf den Vanderbilt-Schiffen. Ihn kratzt das nicht. Zeitgleich kauft er weiter Bahnlinien, etwa die Hudson River Railroad oder die New York Central Railroad, bis sein Netz an die Großen Seen im Norden reicht.

“Ein oder zwei Millionen sollte jeder Mensch haben”

Der Commodore wird so auch noch zum „Railroad King“. 1871 errichtet er sich selbst ein Denkmal: die prachtvolle Grand Central Station in Manhattan, damals der größte Bahnhof der Welt. Reichtum setzt er mit Macht gleich: „Eine oder zwei Millionen sollte jeder Mensch haben. Das Geld, das man besitzt, erhält seinen Wert erst von der Macht, die es einem vermittelt. Wenn man den Überschuss abgäbe, gäbe man damit die Herrschaft aus der Hand“, sagt er einmal. Größter Antrieb ist sein eigenes Geltungsbedürfnis, weder hat er politische Ambitionen noch eine soziale Ader. Allein der Ausbau seiner Herrschaft interessiert ihn. An seinen Namen sollen sich noch viele Generationen erinnern. Doch wie stabil kann eine Dynastie sein, die allein auf massivem Reichtum gründet und nicht durch gemeinsame Werte verbunden bleibt?

Zwölf Kinder bekommt er mit seiner Frau Sophia. Zuneigung empfindet er für keines, schon gar nicht für die neun Mädchen. Der jüngste Sohn George Washington stirbt mit 25 Jahren an Tuberkulose. Der mittlere, Cornelius Jeremiah, treibt sich in Wettbüros herum: „Der arbeitete nicht, sondern schmarotzte, lieh sich Geld von allen Freunden und schrieb ungedeckte Schecks aus“, schreibt Biograf Hoyt. Als tauglich erscheine nur William Henry, der indes aussähe wie ein „frühzeitig aus dem Leim gegangenes Stück Müßiggang“. Nach dem Tod des Commodore wird er 1877 zum Haupterben. 105 Millionen Dollar, das entspricht umgerechnet in heutige Kaufkraft etwa 143 Milliarden – Bill Gates hat gerade mal halb so viel. Die übrigen Kinder werden mit Häppchen abgespeist, Treuhandfonds zwischen 300000 bis 500 000 Dollar. Drei Töchter und Cornelius Jeremiah fechten das Testament an. Erfolglos. Cornelius erschießt sich 1882, während William Henry das Vanderbilt-Vermögen auf 194 Millionen fast verdoppelt. Als er 1885 stirbt, gilt das Vanderbilt-Vermögen als größtes der Welt. Doch William verteilt das Erbe, es ist der Anfang vom Ende der Dynastie. Die ältesten Söhne, Cornelius II. und William Kissam, erben 67 und 65 Millionen, die anderen sechs Kinder je zehn Millionen, große Summen gehen an gemeinnützige Organisationen. Zehn Millionen entsprechen damals den gesamten öffentlichen Ausgaben des Staates New York. Zwölf Dollar beträgt die Monatsrente eines Bürgerkriegsinvaliden.

Italienische Tore, orientalische Teppiche

Inzwischen residiert der Vanderbilt-Clan in Palästen an der Fifth Avenue, mit viel Protz und wenig Stil. Europas Adel ist das große Vorbild und soll unbedingt überflügelt werden. Es wird wahllos zusammengekauft, was nicht zusammengehört: französische Landschaftsgemälde, griechische Statuen, italienische Tore, orientalische Teppiche. Berüchtigt sind die rauschenden Bälle von Alva Vanderbilt, William Kissams Frau. Sie liefert sich einen Glamour-Wettbewerb mit der anderen New Yorker Milliardärsgattin Caroline Astor. Beide ringen um den Titel der First Lady der New Yorker High Society. Auf einem Kostümball mit 1200 Gästen tritt Alva 1883 als venezianische Prinzessin auf. Doch die eigene Verwandtschaft übertrumpft sie: Alice, die Frau ihres Schwagers Cornelius II., erscheint als „Geist der Elektrizität“ in einem Kleid, das aufleuchten kann.

Das Chateau von Cornelius II. und Alice nimmt einen ganzen Straßenzug an der Fifth Avenue ein: 130 Räume, 40 Bedienstete. Das Interieur ist ein seltsamer Stilmix: ein Musikzimmer à la Ludwig XVI., ein maurisches Raucherzimmer mit Wänden aus Perlmutt. Die „New York Times“ nennt es den- noch die „vornehmste Privatresidenz Amerikas“. In diesem Palast wächst der 1880 geborene Reginald Claypoole, Vater von Gloria Vanderbilt, auf. Als 1923 nur noch drei Vanderbilts auf der Liste von 74 US-Millionären stehen, ist Reginald der „ärmste“ mit seinen sieben Millionen. Die verteilt er großzügig in Bars, Spielkasinos, auf Rennbahnen und bei jungen Damen. Der Playboy heiratet in zweiter Ehe die 17-jährige Gloria Morgan und stirbt mit 45 an Leberzirrhose, als Tochter Gloria gerade 17 Monate alt ist. Er hinterlässt ihr einen 2,5-Millionen-Treuhandfonds, der ihr zusteht, sobald sie 21 ist. Reginalds Witwe zieht mit ihr nach Südfrankreich, umgibt sich mit adligen Freunden, feiert rauschende Partys dank der Rente, die sie aus dem Erbe der Tochter erhält. Doch ihr loser Lebenswandel verärgert die Verwandten. Der Streit um das Sorgerecht beginnt, die Presse berichtet täglich vom „Jahrhundertprozess“. Gloria wird der Mutter entrissen, wächst ab ihrem zehnten Lebensjahr bei ihrer Tante, der kunstsinnigen Gertrude Vanderbilt Whitney, in New York auf.

“Ja, ich war bereits berühmt. Nur wofür?”

Und sie liefert weiter fleißig Schlagzeilen. Viermal ist sie verheiratet, erst mit dem Hollywood-Agenten Pat De Cicco, dann mit dem 42 Jahre älteren Dirigenten Leopold Stokowski, mit dem sie zwei Söhne hat. Es folgen der Regisseur Sidney Lumet und der Schriftsteller Wyatt Cooper, mit dem sie nochmals zwei Söhne bekommt. Abseits von ihren illustren Affären und Ehen strebt Gloria nach Bedeutung: „Ja, ich war bereits berühmt, nur wofür? Der einzige Ruhm, der mich beeindruckte, der einzige Ruhm, der zählte, war derjenige, den man sich dank seiner Talente erwarb.“ Nachdem es mit der Schauspielerei nicht klappen will, entwirft sie Stoffe, Papier und Porzellan in psychedelischen Mustern, gestaltet Fußböden und Wände aus lackierten Patchwork-Mustern. Hochglanzmagazine wie „Vogue“ bringen regelmäßig lange, hymnisch betextete Fotostrecken. Gloria entwickelt eine Jeansmarke, lanciert ein Parfüm. All dies wird wertlos, als sich ihr 23-jähriger Sohn Carter Cooper das Leben nimmt. Vor ihren Augen springt er an einem heißen Julitag 1988 von ihrer Terrasse am Gracie Square im 14. Stock. Gloria zwingt sich zurück ins Leben, sucht Halt in der Arbeit, schreibt, malt, fotografiert, schafft sich eine Fantasiewelt aus Kunst und, ja, juwelenbesetzten Stringtangas. Ihr ältester Sohn Stan Stokowski betreibt eine Gärtnerei auf Long Island. Der zweite, Chris Stokowski, hat den Kontakt zur Familie vor über 30 Jahren abgebrochen. Der jüngste, Anderson Cooper, ist Journalist bei CNN. Gloria lebt in einer eher bescheidenen Atelierwohnung in New Yorks Upper East Side, umgeben von den Erinnerungen an eine untergegangene Dynastie.

Von den prächtigen Vanderbilt-Palästen in Manhattan steht keiner mehr, sie wurden abgerissen oder verkauft. Selbst die Grand Central Station gehört den Banken. Commodore Cornelius hatte den Dynastiegedanken im Sinn gehabt, als er nur einen Haupterben einsetzte – William Henry. Der verwaltete den Reichtum zwar geschickt, aber ohne Gespür für Innovationen und Verbesserungen. Lieber widmete er sich seiner Kunstsammlung und seinen Rassepferden. Dampfschiffe interessierten ihn nie, die Vanderbilt-Beteiligungen schrumpften auf diesem Gebiet immer mehr zusammen. Die Enkel und Urenkel des Commodore verloren die Bindung an die Eisenbahn und waren damit beschäftigt, ihr Geld mit vollen Händen auszugeben.

Über das Restvermögen von Gloria Vanderbilt kann nur spekuliert werden. Ihr Sohn Anderson Cooper tat kürzlich kund, es gebe kein Erbe, und er sei ohnehin nicht daran interessiert. Und dennoch: Gloria ist Botschafterin eines vergangenen, des „vergoldeten Zeitalters“, wie Mark Twain es nannte – als Ende des 19. Jahrhunderts der rasante wirtschaftliche Aufschwung in den USA solche sagenhaften Aufstiegsgeschichten wie die der Vanderbilts möglich machte. Der Ruhm mag vergangen sein, doch sein Abglanz strahlt noch immer in leichten Goldschattierungen.

Erschienen in P.M. HISTORY

 
 

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