IM LAND DER KONTRASTE
Vom Nebelwald über die Andenhauptstadt Quito bis hin zu den Galapagosinseln: eine Reise durch Ecuador gleicht einem Trip durch verschiedene Welten
Sobald die Fischer von Puerto Ayora mit ihren Booten an der Pelican Bay anlegen und die glänzenden Gelbflossenthunfische zerlegen, lehnt Señor Carlos als Erster an der steinernen Theke, noch vor den Frauen mit ihren bunten Bastkörben. Schaut sehnsüchtig mit lang bewimperten Augen auf das Fleisch, bis ihm ein Fischer einen Happen hinwirft, den er glücklich glucksend verschlingt. Wieder ein guter Tag für Señor Carlos, der aufrecht auf den Hinterflossen steht und mit seinem glatten Fell wie ein Kind im Taucheranzug aussieht. Die Pelikane, in zweiter Reihe hinter ihm, schauen bedröppelt, denn ihre Chance auf einen Snack sinkt, sobald Señor Carlos am Tresen drängelt. Wie alt er sein mag? „Uralt. Und vor ihm gab es andere. Die Seelöwen waren lange vor uns auf Galapagos. Das ist ihr Reich“, erklärt mir ein Fischer und weist auf das smaragdfarbene Meer, das die Isla Santa Cruz sanft umspült.
EINE EINZIGARTIGE WELT VOLLER BIZARRER TIERE
Vor wenigen Stunden bin ich auf dieser Insel angekommen, die angenehm verschlafen wirkt. Nur im Hauptort Puerto Ayora reihen sich Tauchshops, Souvenirläden und Cafés aneinander, am Hafen legen die Kreuzfahrtschiffe zu den Galapagos-Exkursionen ab.
Ein paar Schritte weiter die Charles Darwin Station, die mit dem Tod von Lonesome George, dem letzten Exemplar seiner Unterart „Chelonoidis abingdoni“ aus der Gattung der Riesenschildkröten, ihr berühmtestes Maskottchen verlor. Leicht lethargisch wirkte der einsame, sex-unlustige George stets. Kein Vergleich zu seinem Nachbarn in der Station, dem agilen Diego, der mit seinem kalifornischen Lifestyle bisher 1700 Nachkommen zeugte – sein Beitrag zur Vergrößerung der Population von 3000 in den 1970er- Jahren auf 20 000 Galapagos-Riesenschildkröten heute. Nicht nur wegen eigensinniger Geschöpfe wie Diego und Señor Carlos bleibe ich auf Santa Cruz. Nur so lerne ich eine Spezies kennen, deren explosive Population gar nicht bejubelt wird: der Mensch. Vor 50 Jahren lebten gerade mal 100 hier, heute wohnen rund 25 000 allein auf Santa Cruz. 40 000 insgesamt auf den vier besiedelten Inseln des Archipels aus 114 großen und kleinen Eilanden.
WIR HABEN NATUR GELEBT UND GEFÜHLT
„Auf Galapagos lernt man Toleranz gegenüber allen Menschen und Kreaturen“, sagt Gundi Schreyer, während sie klebrige Gecko-Hinterlassenschaften von den Fenstern ihres Gästehauses „Jean’s Home“ kratzt, das auf einer Landzunge in Puerto Ayora liegt. Gundi spricht fließend Deutsch. Wir beginnen zu reden und hören nicht wieder auf. Selten fand ich jemand auf Anhieb so sympathisch. Im Jahr 1951 brachen ihre Eltern von Hamburg aus nach Galapagos auf, getrieben von der diffusen Sehnsucht nach einem anderen, freieren Leben. Gundi Schreyer, 1953 hier geboren, besuchte erst mit zwölf Jahren eine Schule. „Wir haben Natur gelebt und gefühlt. Wir wussten, wann es regnen wird oder wann ein Sturm aufzieht“, erinnert sich Gundi. Gekocht wurde mit Brackwasser, gebaut mit Treibholz. Ein Stück Seife musste drei Monate halten, bis das nächste Schiff kam. Auf der Landzunge ließen sich auch drei Großonkel nieder. Einer war Gus Angermeyer, ein Hobby-Philosoph und Illusionist, der eine Grotte mit Muscheln, Walknochen und getrockneten Schildkrötenköpfen als Naturalienkabinett einrichtete. Besucher beschimpfte er erst, dann erklärte er ihnen die Kunst des Lebens. Am feinsandigen „Strand der Deutschen“ wurde die Natur ein wenig gezähmt Um diese Grotte herum baute sein Sohn Tepi das Hotel „Angermeyer’s Waterfront Inn“, das heute zu den besten der Insel zählt.
EIN ORT FÜR GESTRANDETE UND TRÄUMER
Der Strand wenige Meter weiter heißt bis heute „Playa de los Alemanes“, der „Strand der Deutschen“. Die Wege auf der Landspitze sind geharkt, die Häuser lichtweiß getüncht, die Hecken akkurat gestutzt. Mir kommt der Gedanke, dass sich auch unter den Menschen hier eine Evolution abgespielt hat, in der sich Träumer und Gestrandete zu geschickten Unternehmern entwickelten. Während ich Gundi Schreyer zuhöre, wie sie aus ihrer Kindheit erzählt, vergesse ich das Hier und Jetzt, versinke im Damals.
Bis es dämmert und ich unbedingt das Meer unter dem violettfarbigen Himmel anschauen will. Ein armlanger Leguan döst am Steg, leise Bachata-Rhythmen wehen aus den ankernden Booten herüber. Ich schüttle den Kopf über diese unwirklich schöne Szenerie.
REFUGIUM AUS GLAS IM DSCHUNGEL
Gestern noch war ich gefühlt in einer komplett anderen Welt, ganz in Grün getaucht, im tropfnassen Nebelwald der Chocó-Bioregion an den Ausläufern der Anden. Mitten in der Wildnis dort steht die „Mashpi Lodge“, ein Refugium aus Glas, Aluminium und Holz. Drinnen: puristische Ruhe. Draußen: wuchernde Natur. Lianen, die sich um bemooste Baumstämme winden. Ein Wald, der dampft, atmet, lebt. Allein 260 Kolibri-Arten flattern von Ast zu Ast, ungezählte Tukane klappern mit ihren Schnäbeln, und der Andenklippenvogel führt im roten Federkleid Balztänze auf. Raubtiere muss ich in dem 1300 Hektar großen Naturreservat nicht fürchten. Zwar schleichen Ozelots und Pumas durchs Unterholz, aber nur nachts. „Pumas sind wie Geister. Du weißt, dass sie da sind, aber du siehst sie nicht“, beruhigt mich der Guide der „Mashpi Lodge“. Nur auf den verschwommenen Aufnahmen der Kamerafallen, nie tagsüber auf den Trails, die zum Beispiel zur Aerobike-Station führen. Dort besteigt, wer sich traut, ein Fahrrad und strampelt zwischen den Baumwipfeln hindurch über eine 100 Meter tiefe Schlucht – ein taumeliger Spaß an einem zwei Kilometer langen Stahlseil, zwischen Angst, Aufregung und Faszination. Nach nur zwei Nächten in der Lodge weisen sogar meine Träume eine deutliche Grünfärbung auf. Habe ich das wirklich im selben Land erlebt?
EIN LAND, VIER ÖKOSYSTEME
Ecuador vereint auf kleinstem Raum vier Ökosysteme: vom kühlen Hochland der Anden über das dschungelheiße Amazonas- Becken bis zur feuchten Küstenregion und eben den Galapagosinseln im Pazifik, wo ich nun sitze und meine Gedanken festhalte, damit sie nicht in alle Himmelsrichtungen schwirren. Da ich nicht länger verwirrt auf den Horizont starren will, besteige ich eines der kleinen Kreuzfahrtschiffe zu den anderen Inseln. Jede sieht anders aus: mal kilometerweite Lavawüste, mal üppige Mangrovenwälder. Auf der Isla Sombrero Chino hocken Meerechsen und starren scheinbar seit unendlichen Zeiten bewegungslos auf den Horizont. Auf der Isla Bartolomé drängen sich zerzauste Pinguine aneinander. Auf Genovesa muss ich Fregattvögeln ausweichen, die auf Kopfhöhe vorbeisausen und den Rotfußtölpeln die Beute direkt aus dem Schnabel stehlen. Nirgendwo sonst auf der Welt kommen die Tiere so zutraulich angelaufen wie in diesem Archipel. Das Schnorcheln mit Meeresschildkröten und zahmen Galapagos- Haien bleibt unvergesslich. Ein vorwitziger Seelöwe okkupiert am Strand mein Badetuch und lässt sich in voller Länge und mit höhnischem Gelächter – so klingen seine Laute jedenfalls – darauf fallen. Seine Botschaft ist klar: „Mir doch egal, was du hier machst. In meinem Revier schlafe ich, wo ich will.“ Recht hat er, dieser Seelöwe, der genauso aussieht wie der talentierte Señor Carlos.
REISE-SERVICE
ANREISE
z.B. mit Iberia. Tägliche Flüge über Madrid nach Quito und Guayaquil (www.iberia.de). Weiter im Land mit ecuadorianischen Gesellschaften wie Tame (www.tame.com.ec) oder Aerogal (www.aerogal. com) auf die Galapagosinseln. Der Eintritt in den Nationalpark Galapagos kostet 100 US-Dollar und soll bei Ankunft am Flughafen in bar bezahlt werden.
HOTEL IN QUITO
Casa Gangotena, ein edles Boutique-Hotel mitten in der schönen Altstadt, www.casagangotena.com.
HOTELS AUF SANTA CRUZ
Jean’s Home in Punta Estrada, Puerto Ayora – sehr klein mit sechs Zimmern, eco-friendly, schlichter Charme und geführt von der deutschsprachigen Gundi Schreyer, http://jeans-home.com
Das Finch Bay Eco Hotel am „Strand der Deutschen“ in Puerto Ayora bietet komplette Pakete an inkl. Verpflegung, Transfers, Besuch der Charles Darwin Station und Exkursionen, www.finchbayhotel.com
Ein einzigartige Ort im Nebelwald: die Mashpi Lodge vergisst man nicht. Auch hier werden komplette Reisepakete inklusive Touren angeboten. www.mashpilodge.com
Reisepakete: z. B. 14 Tage-Rundreise Ecuador & Galapagos-Kreuzfahrt oder 11 Tage Galapagos-Reise über Windrose Travel, www.windrose.de
MEHR INFORMATIONEN: www.ecuador.travel