Von Monika Dittombée
Was ist emotionales Essen?
EIN STÜCK SCHOKOLADE kann ein unglaublicher Genuss sein. Dieses Rascheln beim Öffnen der Verpackung, der Anblick dieser perfekten Platten, das verheißungsvolle Knacken beim Abbrechen einer Rippe, und dann diese Pracht langsam auf der Zunge zergehen lassen ... Endlich kommt er, der Anflug eines Glücksgefühls. Die Belohnung nach einem anstrengenden, lauten Tag. Kann doch niemand was dagegen haben, oder?
Schokolade als Stimmungsaufheller – das funktioniert prächtig, zumindest für den Moment. Ein Grund dafür ist ein simpler physiologischer Vorgang. Bei Stress oder anderen negativen Empfindungen sinkt der Pegel der „Stimmungshormone“ Serotonin und Noradrenalin. Bedeutet: Motivation und Antrieb sinken, es kommt ein Gefühl der Überforderung auf. Gleichzeitig steigt der Pegel des „Stresshormons“ Cortisol im Blut, darauf reagiert der Körper und verlangt Energie – am besten aus Lebensmitteln mit reichlich Fett und Zucker, die Hochgefühle wecken. Weil dieser Effekt schnell und zuverlässig eintritt, kann daraus leicht eine Gewohnheit werden. Emotionale Esser versuchen also, negative Gefühle zu dämpfen oder Stress zu bewältigen. Dies geschieht oft völlig unbewusst. Es kommt zum Essdrang, obwohl wir ursächlich gar keinen Hunger spüren. Doch wie kommt man wieder raus aus dieser Falle? Nicht mit Diäten und Zügelung, sondern mit intuitiv-achtsamem Essen. Wie das funktioniert, erklärt Cornelia Fiechtl, Klinische Psychologin, Gesundheitspsychologin und Autorin.
Frau Fiechtl, intuitiv essen klingt doch schön einfach. Warum fällt es dennoch schwer?
Die meisten von uns haben ein sehr verkopftes Essverhalten. Wir beschäftigen uns sehr mit Fragen wie diesen: Wann soll ich essen und wieviel? Was ist gesund und was ist ungesund? Worauf soll ich verzichten? Da all diese Informationen ständig verfügbar sind, in TV, Internet oder Social Media, denken wir auch soviel über unser Essen nach. Doch: je mehr wir im Kopf sind, desto weniger spüren wir unsere eigenen Körpersignale. Zu viele Informationen vernebeln unsere Intuition? Genau. Zunehmend entscheidet der Kopf über unser Essen, nicht die Bedürfnisse des Körpers. So wird Ernährung immer mehr zu einem Dogma, zu einer Lebensphilosophie, in der es scheinbar immer genau DAS Richtige gibt für die Optimierung. Je mehr wir uns damit beschäftigen und eintauchen, desto mehr verlieren wir den eigentlichen Hintergrund, dass Essen Spaß und Freude bereiten soll. Genuss bedeutet auch, dass wir spüren, wann wir hungrig und wann wir satt sind. Diese Intuition gerät immer mehr in den Hintergrund.
Stimmt es, dass Kinder intuitiv richtig essen?
Ja, sie essen von Natur aus intuitiv. Babys schreien, wenn sie Hunger haben und drehen den Kopf weg, wenn sie satt sind. Da sieht man, dass diese Instinkte an - geboren sind. Wenn wir Kindern einen Rahmen zugestehen, in dem sie das beibehalten können, dann geschieht das auch. Wenn wir ihnen aber vorgeben, dass sie keinen Käse ohne Brot essen dürfen oder sie essen müssen, weil Mittagszeit ist, geht die Intuition bei ihnen verloren. Hinzu kommt, dass Essen in der Erziehung instrumentalisiert wird, etwa wenn Kinder mit Süßigkeiten belohnt oder getröstet werden. All diese Vorgaben bringen Kinder weg vom intuitiven, natürlichen Essverhalten.
MIT YOGA UNTERSTÜTZEN
Auf dem Weg fort vom emotionalen Essen und hin zum Wahrnehmen seiner Gefühle kann Yoga helfen. Mit „Bee Yoga“ bietet die Psychologin Franziska Krusche eine Kombination aus Asanas (Körperhaltungen), Pranayama (Atemübungen) und Meditation an, die dabei helfen soll, sich vom emotionalen Essen zu verabschieden und beim lustvollen, intuitiven Essen anzukommen. „Durch Yoga habe ich entdeckt, was mir früher im Leben gefehlt hatte: Sinnhaftigkeit, Tiefgang, Innenschau“, sagt sie. Workshop-Termine und mehr Information: www.theheartofbalance.com
Welche sind die häufigsten Auslöser für emotionales Essen? Dieses Essverhalten wird ausgelöst durch Grübelgedanken, Frust, Ärger oder Traurigkeit. All das sind Emotionen, die Anspannung im Körper erzeugen. Essen hilft, diese Anspannung abzubauen, weil Glückshormone ausgeschüttet werden, die eine dämpfende Wirkung auf unser Stress-System haben. Ebenfalls große Essauslöser sind Diäten und Zügelungen. Wenn ich mich ständig zurücknehmen muss, mir etwa nur eine kleine Portion erlaube, führt das auch oftmals zu einem Essdrang.
Welche Rolle spielen innere Glaubenssätze?
Eine ganz große. Was mir in der praktischen Arbeit häufig begegnet, sind innere Glaubenssätze wie: „Ich bin nur richtig, wenn ich schlank bin“. „Wenn ich schlanker bin, werde ich glücklich.“ „Ich krieg es einfach nicht hin. Ich bin zu dick.“ „Keiner mag mich, wenn ich so aussehe.“ Glaubenssätze drehen sich häufig um das Thema Selbstwert und Anerkennung. Die eigentlichen Fragen dahinter sind aber „Bin ich richtig? Bin ich liebenswert?“ Sehr viele Glaubenssätze und Bewertungen werden von außen vermittelt. Gerade durch das vorherrschende Schlankheits- und Schönheitsideal haben wir ein bestimmtes Bild von einem Körper, wie er auszusehen hat. Davon sollten wir uns frei machen, indem wir fragen: Was tut mir selber eigentlich gut?
Wie können wir diese gefühlt ständige Aufforderung zur Selbstoptimierung ausblenden?
Mehr Achtsamkeit in den Alltag integrieren. Hinterfragen: Was fühlt sich für mich gut an? Diesen Gefühlen nachspüren. Wenn ich auf Instagram Menschen folge, die mir jedes Mal ein schlechtes Gefühl mit ihren Postings geben, dann ist das ein Zeichen, dass ich diesen Content nicht konsumieren sollte. So generiert man Abstand. Auch beim Thema Sport sollten wir nicht danach gehen, was nun die meisten Kalorien verbrennt oder wie der Körper bestmöglich definiert wird. Auch da den Druck rausnehmen, wenn ich welchen spüre. Lieber danach gehen, welche Sportarten mir gefallen, welche Bewegung mir gut tut und vor allem: was mir Spaß macht. Food-Trends wie Intervallfasten, Low Carb und Detox versprechen nicht nur Erfolg beim Abnehmen, sondern werden auch als „gesunde“ Ernährung angepriesen.
Kann man einem Trend folgen und dennoch intuitiv essen?
Intuitiv essen ist ein ganzheitliches Konzept. Es geht um Food Freedom. Das impliziert auch, von den Gesund/Ungesund-Kategorien abzusehen, Diätgedanken abzulegen, auf Körpersignale zu hören, Bewegungsfreude zu empfinden und Frieden mit dem Körper zu schließen. Wenn man kopfgesteuert beschließt, dass man jetzt Intervallfasten muss, nur weil es gesund sein soll, dann ist das keine intuitive Ernährung. Aber: viele essen tatsächlich intuitiv im Intervall, nicht weil sie ein Muss spüren, sondern weil es ihrem natürlichen Rhythmus entspricht. Low Carb dagegen kann nicht intuitiv sein, da es mit Verboten belegt ist. Wir brauchen einfach Kohlenhydrate für unsere Ernährung. Jedes Mal, wenn ich vorgebe „ich darf das nicht“, dann ist es nicht intuitiv, sondern vom Kopf gesteuert.
„Food Freedom“ klingt wunderbar. Bedeutet das völlige Freiheit in der Ernährung?
Genau. Es geht darum, alle Lebensmittel als gleichwertig zu betrachten und in den Speiseplan zu integrieren. Sich die Freiheit erlauben, alles essen zu dürfen. Dahinter steht eine psychologische Systematik, die wir alle kennen: Verbotene Dinge erscheinen reizvoll. Wenn ich mir einrede, dass Schoko lade ungesund sei und ich sie nicht essen darf, obwohl ich Schokolade mag, steigt mein Drang nach Schokolade. Wenn ich mir aber erlaube, Schokolade zu essen und somit eine neutrale Beziehung zu ihr entwickle, verliert sie den Reiz. Die Lust auf dieses Lebensmittel geht verloren, ganz von allein. Genau das wollen wir erreichen. Bei Food Freedom als ganzheitlichem Konzept geht es darum, ebenso ausgewogen wie nährstoffreich zu essen, ganz ohne Verbote.