GEPACKT VON GALAPAGOS
Auf der Flucht vor Nazi-Deutschland machen fünf Brüder aus Hamburg das Abenteuer ihres Lebens: Auf ihrem eigenen Boot wollen sie die Galapagos-Inseln erreichen. Das wilde Archipel wird zum Ort ihrer Sehnsucht
Über der Academy Bay dämmert der Himmel in feurigen Rottönen. Armlange Leguane dösen am Steg, leise Bachata-Rhythmen wehen aus den ankernden Yachten und Fischerbooten übers Wasser. Der treibende Sound passt zu Puerto Ayora, der größten Stadt und Boomtown von Galapagos auf der Isla Santa Cruz. Und er erinnert daran: Auch hier, mitten im Pazifik, ist noch immer Lateinamerika, die Inseln gehören zu Ecuador. Hier am Äquator sinkt selbst nachts die Temperatur nur selten unter 20 Grad Celsius.
Wer heute über die Insel flaniert, fühlt sich schnell heimisch. Die Wege sind geharkt, die Häuser Galapagos lichtweiß getüncht, die Hecken akkurat gestutzt. Ein Teil der feinsandigen Küste heißt „Playa de los Alemanes“, der „Strand der Deutschen“. Und überall prangt dieser eine Name: Angermeyer. Hotels und Restaurants tragen ihn, selbst der Bootsanleger der Landspitze heißt „Angermeyer Point“.
Die Suche nach dem Geheimnis hinter diesem Namen offenbart eine unglaubliche Geschichte: 1935 stechen fünf Brüder aus Hamburg auf einem Segelboot in See. Die Geschichte der Angermeyer-Brüder erzählt von Freiheit und der Sehnsucht nach einem anderen Leben. Ihr Abenteuer endet auch nicht, als sie das Ziel ihrer Reise erreichen.
Hans, Karl, Gusch und Fritz Angermeyer kamen bereits in den 1930er-Jahren hierher. Sie ließen sich auf Santa Cruz nieder, als es hier noch nichts gab, nicht einmal Strom oder fließendes Wasser. Geschweige denn Surfläden, Tauchschulen, Restaurants oder Souvenirshops. Rund 20.000 Menschen leben heute auf der Isla Santa Cruz. Damals waren es gerade mal 20.
Ihr Sehnsuchtsort: Ein zerklüftetes Feld schwarzer Lava mit sonnenverbranntem Buschwerk
Denn Inseln auf der anderen Seite der Welt sind wenig einladend. Tomás de Berlanga, Bischof von Panama, entdeckte 1535 durch Zufall diese abgelegene Inselwelt und segelte schnell wie- der von dannen. Zunächst wurden sie Islas Encantadas („Verzauberte Inseln“) genannt, weil die starken Strömungen rund um den Archipel die Seefahrer verwirrten. Selbst erfahrene Kapitäne schwören, dass die Inseln immer wieder ihre Position wechseln. Wie eine Fata Morgana auf dem Wasser.
Über Jahrhunderte blieben die Zauber-Inseln unbesiedelt. Allenfalls Piraten und Walfänger machten Halt, versorgten sich mit Frischfleisch, indem sie lebende Riesenschildkröten mit an Bord nahmen. Im 19. Jahrhundert mussten Verbannte vom 1000 Kilometer entfernten Festland Ecuadors jahrelang in der Einöde ausharren.
„Ein zerklüftetes Feld schwarzer basaltischer Lava (...) überall von sonnenverbranntem Buschwerk bedeckt. Nur wenige Zeichen von Leben“, befand Charles Darwin, als er sich 1835 auf dem Forschungsschiff „Beagle“ dem Archipel näherte. Er sah: etwa 130 Eilande, die wie gezackte Riesenechsen aus dem Pazifik ragen. Kantige Felsbrocken voller Geröll, Lavasteine neben Aschefeldern, ausgeblichene Kakteen neben schartigen Vulkankratern.
Nur sehr anpassungsfähige Pflanzen- und Tierarten überleben die sengende Äquatorsonne. „Eine Inselwelt der Dürre, ohne Bewohner und ohne Geschichte und in alle Ewigkeit ohne Aussicht, dass sie zu Bewohnern und Geschichte kommt“, schrieb der Dichter Herman Melville („Moby Dick“) sechs Jahre nach Darwin. Dass dieses Land später zum Sehnsuchtsort wird, ist noch nicht abzusehen.
Hamburg-Harburg, 1934. Marie und Heinrich Angermeyer wohnen mit ihren fünf Jungen und zwei Mädchen in einem Haus am Hohlweg. Die Kinder stromern an der Elbe herum, sammeln Strandgut, schauen den großen Pötten hinterher, die aus der Stadt auf das große blaue Wasser fahren.
Für die Jungs wird die Ritscher-Werft in Moorburg zum zweiten Zuhause. Sie stöbern im Gerümpel, sammeln Schekel, Tampen, alte Ruder, flicken sich aus einem leckgeschlagenen Rettungsboot einen ersten Kahn zusammen. Die Eltern mischen sich kaum ein. „Es war praktisch eine antiautoritäre Erziehung, bevor sie überhaupt erfunden wurde“, erzählt Karl, einer der Brüder, rückblickend. Seine Erinnerungen sind im Buch „Kurs: Galapagos. Das abenteuerliche Leben der Gebrüder Angermeyer“ (National Geographic Taschenbuch) festgehalten.
Vor dem Schlafengehen verschlingen die Brüder Abenteuerromane wie „Robinson Crusoe“, „Moby Dick“ oder „Die Schatzinsel“. Als ein befreundeter Kapitän zum ersten Mal von den „Islas Encantadas“ erzählt, von monströsen Meerechsen, winzigen Pinguinen, zutraulichen Haien, verspielten Seelöwen und uralten Riesenschildkröten, trifft er einen Nerv der wissbegierigen Bande. Umgehend suchen sie Seekarten und Logbücher über Galapagos zusammen, wollen diese Inseln unbedingt finden.
Ein handfester Plan reift heran. Zumal sich die politische Situation in Deutschland deutlich verschärft. Gewalt-Aktionen gegen Juden nehmen zu, die NS-Führung plant die Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht. Die pazifistischen Eltern unterstützen das irrwitzige Vorhaben ihrer Söhne: Besser die Flucht auf dem Segelboot als der Dienst an der Front – denn sie ahnen schon früh den kommenden Krieg. Nur sehr anpassungsfähige Pflanzen- und Tierarten überleben die sengende Äquatorsonne. „Eine Inselwelt der Dürre, ohne Bewohner und ohne Geschichte und in alle Ewigkeit ohne Aussicht, dass sie zu Bewohnern und Geschichte kommt“, schrieb der Dichter Herman Melville („Moby Dick“) sechs Jahre nach Darwin. Dass dieses Land später zum Sehnsuchtsort wird, ist noch nicht abzusehen.
Sie treffen eine weitreichende Entscheidung: Das Haus in Harburg wird verkauft und dafür ein hochseetüchtiger Schoner für die Söhne angeschafft. Der Rest der Familie will nachkommen, sobald die Brüder auf Galapagos sesshaft geworden sind. Marie und Heinrich ziehen in eine kleine Wohnung, während die Söhne in monatelanger Bastelei ihren Zwei- master umbauen und endlich den Laderaum mit Werkzeugen, Gewehren und Saatgut füllen. Das fertige Schiff taufen sie „Marie“, nach ihrer Mutter.
Bei stürmischen Winden hält die Takelage nicht stand – so schaffen sie es nie über den Atlantik
Pfingstsonntag 1935 legen sie im Morgengrauen ab: Heinrich, Hans, Karl, Gusch und Fritz, zwischen 17 und 24 Jahren alt. Drahtige Männer auf dem Sprung. 10.700 Kilometer vor ihnen. Ihre Route führt sie über die Elbe auf die Nordsee, wo sie umgehend in einem Orkan landen, der die Träume vom fernen Galapagos zunächst in alle Winde verweht. Ein erster Vorbote der folgenden Odyssee?
In höchster Not setzen sie ihr Boot vor der englischen Küste auf Sand – und bekommen es sechs Monate lang nicht mehr frei. In den Straßen der Hafenstadt Falmouth singen sie deutsche Shantys, um Geld zu verdienen. In dieser Zwangspause kehrt der älteste Bruder Heinrich zurück nach Hamburg. Die anderen Vier verkaufen die festsitzende „Marie“, schaffen ein neues Boot an, sie taufen es auf „Marie II“. Auch damit haben sie Pech. Bei stürmischen Winden schlingert der Rumpf, die erneuerte Takelage hält nicht stand. Ernüchtert landen die Brüder in Amsterdam und sehen ein: Ihr Kahn ist nicht hochseetüchtig und wird es niemals über den Atlantik schaffen. Sie verkaufen auch die „Marie II“.
Viele hätten spätestens jetzt aufgegeben. Ein Jahr Irrfahrt voller Unterbrechungen liegt hinter ihnen. Ihrem Ziel sind sie nicht bedeutend näher gekommen. Doch die Vier neigen nicht zur Tristesse. Sie geben sich als Kunsthändler aus und veräußern die Gemälde ihres Bruders Heinrichs in Galerien. Auch privat lohnt der Aufenthalt in Holland, denn Hans verliebt sich in Lizzie, eine aufgeweckte Ballerina, die unbedingt nach Galapagos mitkommen will – nur nicht auf einem Segelboot!
Das große Abenteuer, die Welt aus eigener Kraft zu bereisen, ist gescheitert. Doch nach Deutschland zurück wollen sie nicht: Die Nazis haben das Land stärker im Griff als je zuvor, der Alltag ist durchtränkt von der braunen Ideologie. Nun gilt es nur noch, das Ziel zu erreichen, koste es, was es wolle. Nach einigem Hin und Her entscheiden sich die Brüder mit Lizzie für eine Passage auf dem Dampfschiff. Die „Orbita“ bringt sie binnen zwei Wochen von Liverpool nach Guayaquil in Ecuador. Eine gemütliche, ruhige Reise. So einfach und schnell kann es gehen. In Guayaquil müssen sie nur noch einige Wochen warten, bis das nächste Versorgungsschiff nach Galapagos ablegt, das sie in fünf Tagen zu den verzauberten Inseln bringt.
„Gestrandete, Ruhesuchende, Träumer“, nennt Gundi Schreyer-Görlitz heute die Abenteurer. 1954 wurde sie auf Santa Cruz geboren. Ihre blonden Haare trägt sie straff nach hinten gebunden, ihr Deutsch ist fließend. Sie ist die Nichte der vier Brüder. Sie betreibt das Gästehaus „Jean’s Home“, das auf einer Landspitze in Puerto Ayora liegt.
„Auf Galapagos lernt man zu leben. Man lernt Toleranz gegenüber allen Menschen und Kreaturen.“ Gundi trinkt schwarzen Kaffee, geröstet aus den starken Bohnen der Insel. Sie schaut auf das smaragdfarbene Meer, scheint fest verwachsen mit jenen irrlichternden Inseln mitten im Pazifischen Ozean, wo man die Gedanken festhalten muss, da- mit sie nicht aus Versehen in alle Himmelsrichtungen schwirren.
Immer wieder fordern Wissenschaftler die Verbannung des Menschen aus dem Garten Eden. Denn noch herrschen hier paradiesische Zustände: 95 Prozent der Pflanzen- und Tierarten, die seit Beginn der Evolution hier lebten, existieren laut Charles-Darwin-Stiftung auf Santa Cruz noch immer.
Am 27. Juni 1937, mehr als zwei Jahre nach ihrem Aufbruch, legen die Angermeyer-Brüder in der Academy Bay auf Santa Cruz an. Die 20 Einwohner – Norweger, Engländer, Spanier, Schweizer, Deutsche – stehen vollzählig am Pier, um das Versorgungsschiff zu empfangen, das Medikamente, Lebens- mittel, Baumaterialien, Post und die Aussteiger geladen hat. Die erste Nacht verbringen sie am Lagerfeuer unter freiem Himmel. Aus Baumstämmen und Segeln bauen sie in den nächsten Tagen die erste Schlafstatt zusammen. Von den Einwohnern werden sie freundlich aufgenommen.
In der Folgezeit robben die Brüder über scharfkantige Felsen, lauern Ziegen und Wildschweinen auf. Mit Buschmessern kämpfen sie sich durch das Gestrüpp, sägen Bretter aus Baumstämmen, schnitzen Vierkantdübel aus Holz, nähen Matratzen aus Segeltuch und füllen sie mit Seegras. Sie bauen zwei Häuser mit Fundamenten aus Lavastein im grünen Hochland. Eines soll für die Eltern sein.
Mit welchen Menschen möchte man auf einer einsamen Insel stranden? Diese vier wären die Idealbesetzung für ein gedankliches „Lost“-Experiment.
Fritz, das eher schweigsame Genie mit einem Händedruck wie ein Schraubstock: ein begnadeter Handwerker. Er entwirft und baut seetüchtige Boote, schraubt rostige Motoren zusammen, die tatsächlich laufen.
Karl: der unterhaltsame Entertainer, der die Stimmung oben hält.
Hans: der feinsinnige Diplomat.
Gusch: der mutige Hitzkopf, der immer mal mit genialen Ideen glänzt.
Nichts scheint die vier zu schrecken. Sie essen Langusten, zähe Meerechsen und Schildkröten. Krankheiten werden selbst kuriert, faulende Zähne mit der Kneifzange gezogen. „Auf den Galapagos-Inseln musst du alles in einer Person sein: Schneider, Schuster, Fischer, Maurer, Zimmermann, Metzger, Jäger, Koch, Schiffbauer, Mediziner“, beschreibt Karl die Lehrjahre eines Robinson Crusoe.
Bei allen Herausforderungen: Diese hemmungslosen Optimisten müssen auch eine Menge Spaß gehabt haben. Aus Zuckerrohr brennen sie Schnaps, aus süßen Kakteenpflanzen stellen sie Wein her. Von Gusch stammt die Eingebung, aus den immensen Fischvorkommen rund um die Inseln ein Geschäft zu machen. Sie bauen das erste hochseetaugliche Segelschiff von Santa Cruz und fangen Dorsch, den sie in Salz einlegen und mit stationierten US-Soldaten gegen Zigaretten, Alkohol und Schokolade tauschen.
Die Brüder werden heimisch. Karl verliebt sich in die zehn Jahre ältere Marga Kübler, die auf Santa Cruz lebt. Fritz verliebt sich in Margas Tochter Carmen. Lizzie kehrt zurück in die Niederlande, danach heiratet Hans die russischstämmige Emma. Gusch heiratet die Ecuadorianerin Lucrecia. Die Ankunft im Paradies, sie scheint geglückt.
Bis zu jenem Moment nach Kriegsende, als ein Brief ihrer Schwester Helene aus Hamburg eintrifft. Sie berichtet vom Tod der Eltern und des Bruders Heinrich: Das Mietshaus in Moorburg wurde bei einem Bombenangriff zerstört, die Angermeyers starben in den Trümmern. Bis auf Helene war niemand mehr von der Hamburger Kernfamilie übrig, denn die zweite Schwester, Anneliese, war schon vorher an Diphterie gestorben. Die Botschaft trifft die Brüder ins Mark, tagelang reden sie nicht miteinander. Die Häuser im Hochland geben sie auf und ziehen an die Küste, auf die Landspitze an der Academy Bay.
Helene wird nicht wie ursprünglich geplant nach Galapagos nachziehen, sie hat ihr eigenes Leben und ihre eigene Familie in Deutschland. Doch 1951 zieht ihre Tochter mit Mann auf die Insel zu ihren Onkeln. Sie sind getrieben von der diffusen Sehnsucht nach einem anderen, freieren Leben. Sie bringen dort zwei Kinder auf die Welt, eines davon nennen sie Gundi. „Hamburg lag in Trümmern und sie waren noch jung. Obwohl es kein einfaches Leben war, haben sie ihre Entscheidung nie bereut“, erzählt Gundi.
Weit ab von dem, was man Zivilisation nennt, leben sie im absoluten Einklang mit der Natur
In den 1950ern leben schon 17 Angermeyers auf Santa Cruz. Alle Babys kommen ohne Hebamme zur Welt. Eine Kindheit auf den Inseln, ohne Strom, ohne fließendes Wasser und mit einem Stück Seife, das drei Monate reichen muss – all das prägt Gundi: „Meine Kindheit war glücklich und lehrreich. Wir haben Natur gelebt und gefühlt. Wir wussten, wann es regnen wird und wann ein Sturm aufzieht.“
Erst mit 13 besucht sie eine Schule. „Als Kind hatte ich keine Vorstellung von einer Stadt. Und das Konzept eines Autos war mir unverständlich. Was sollte ich tun, wenn die Straße aufhört?“ Lange hat sie das Gefühl, etwas zu verpassen, weit draußen im Ozean, abgeschnitten vom Festland, von dem, was man Zivilisation nennt. Im Rückblick aber stellt sie fest: „Keine Schule konnte mich lehren, was ich als Kind mitbekommen habe: das Gefühl, im absoluten Einklang mit der Natur zu leben.“
Immer mehr Wissenschaftler interessieren sich in den 1950er-Jahren für die außergewöhnliche Flora und Fauna der Inseln. Der Abenteurer Thor Heyerdahl reist an, ebenso der Meeresforscher Jacques Cousteau, Tierfilmer Heinz Sielmann und Prinz Philipp, Gemahl von Queen Elisabeth II. Sie alle brauchen Schiffe und einheimische Experten. Die Angermeyers starten eine beachtliche Karriere. Da sie die Gewässer mit allen Strömungen und Tücken kennen und außerdem jede Pflanze und jedes Tier benennen können, werden sie die ersten Guides der Insel. Karl wird Kapitän der Charles Darwin Station, steuert das Forschungsschiff „Beagle“ durch die Gewässer und wird „Don Carlos“ genannt. Als Einziger der Brüder reist er 1961 noch einmal nach Deutschland, hält Vorträge über Galapagos, tritt im Fernsehen auf und beklagt sich, dass er Hemd, Socken und Schuhe tragen muss, wo er doch jahrzehntelang nur barfuß gelaufen ist.
Nach den Wissenschaftlern und den Journalisten kommen in den 1960ern die ersten Touristen. Die Angermeyers werden Reiseleiter und bieten Segeltörns auf ihren Booten an. Die Touristen sind von den Brüdern begeistert, die einen kantigen Mix aus Spanisch und Plattdeutsch sprechen und bei jeder Gelegenheit mit Gitarre, Akkordeon und Mundharmonika Seemannslieder anstimmen. Das Geschäft mit den Touristen wächst, die Klippfischproduktion geben sie auf.
Mit den Jahren übernehmen ihre Kinder die Geschäfte und die Brüder widmen sich ihren Neigungen: Fritz baut mehr als zehn Jahre lang an einem Boot, das sein Meisterwerk werden soll. Es bleibt unvollendet. Karl malt expressive, farbenfrohe Bilder mit den Fingern. In seinem Haus lebt er mit 60 Leguanen zusammen. Alle heißen Annie und sie schießen aus allen Ecken und Spalten heraus, sobald er sie ruft.
Der exzentrische Gusch ernennt sich selbst zum „König der verzauberten Inseln“. Er richtet eine Höhle ein, die er wie ein Naturalienkabinett gestaltet. Am Gartentor vor der Wohnhöhle hängen Bratpfannen und Töpfe an einem Seil: seine Klingel. Die Innendekoration: getrocknete Schildkrötenköpfe, eingelegte Meerestiere in Gläsern und an der Wand ein menschliches Skelett, das einst an den Strand geschwemmt wurde. Tisch und Stühle bestehen aus Rippen und Wirbeln eines Wals, die Kieferknochen dienen als Sofa. Besucher beschimpft er erst, bevor er ein Bier mit ihnen trinkt. „Hola, wat wullt ihr Arschlöcher denn hier?“, ist seine übliche Begrüßung. Oder subtiler: „Wenn du Galapagos betrittst, wirst du dich verändern. Hier könnte das Paradies auf dich warten. Oder die Hölle. Fürchtest du dich?“
Gundi sagt über ihren Großonkel Gusch: „Er betrachtete sich als großen Philosophen. Er liebte es, die Kunst des Lebens zu erklären und sich selbst nicht daran zu halten.“ Er ritzt Gedichte und Sprüche auf Treibholz, tippt besessen mit der Schreibmaschine auf hunderten Seiten seine Lebensgeschichte runter.
Alle Brüder sind inzwischen verstorben. Als Letzter der fünf Abenteurer aus Hamburg-Harburg verabschiedet sich Fritz 2007 im Alter von 91 Jahren von der Welt. Die Nachkommen der Brüder tragen ihre Geschichten weiter. Auch Gundi liebt das Erzählen und wer mit ihr ein paar Stunden auf der Terrasse sitzt, vergisst das Hier und Jetzt, versinkt im Damals, bekommt eine Ahnung davon, wie das Leben hier einmal gewesen sein muss.
Abends, wenn die Dämmerung anbricht und die Sonne ins Meer fällt, geht Gundi am „Playa des los Alemanes“ schwimmen, am liebsten alleine. Wenige Meter weiter sitzen die Touristen auf der Terrasse des Hotels „Angermeyer‘s Waterfront Inn“, das Sohn Teppy um die Höhle seines Vaters Gusch herum gebaut hat. Es zählt heute zu den besten der Insel. Auch die anderen Nachkommen besitzen Restaurants, Hotels, Yachtcharter oder Reisebüros.
Der Gedanke drängt sich auf, dass es sich auch bei den Menschen auf diesen Inseln um überaus gelungene Exemplare einer erfolgreichen Evolutionsgeschichte handelt. Oder in den Worten von Karl Angermeyer: „Das Paradies gibt es nicht, jeder muss sich sein Paradies selbst erschaffen.“