Eine Insel wie eine Goldgrube

Bornholm ist sowas wie Dänemark im Miniformat, da auf kleiner Fläche alle Vorzüge des Landes in der Sonne um die Wette leuchten

Im Dänischen gibt es das hübsche Wort flytter. Es bedeutet „umziehen“, und wenn ein Däne es ausspricht, erinnert der Klang des Wortes an einen schönen Zustand zwischen flirten und flattern. Camilla und Mads Meisner sind also „flyttet“ von Gentofte, einem reichen Vorort von Kopenhagen, gen Osten auf die Insel Bornholm. Hier stehen wir nun, eine Gruppe von Deutschen, im Hofladen der Sanddornfarm „Høstet“ von Mads und Camilla, hören ihre Geschichte, und ich träume mit offenen Augen von flyttern, flattern, flirten. Kaum einen Fuß auf die Insel gesetzt, schon hingerissen.

Oder liegt es am Cocktail von Mads? Bohato, die dänische Antwort auf Mojito, mit weißem Rum, Schokominze und Sanddorngranita, der gleichzeitig süß und gesund schmeckt. Angefangen hatten Mads und Camilla vor zehn Jahren klassisch mit Sanddornsaft und Sirup. „Der Erfolg kam mit der Marmelade, wir gewannen sogar Preise“, erzählt Mads. 2000 Pflanzen wachsen auf der Farm, alle Bestandteile werden verarbeitet: Aus der Haut der Früchte werden Cornflakes, die gepressten Nüsse verwandeln sich in Peelings, die proteinreichen Blätter taugen auch als Fleischersatz. Das Business floriert, das Paar mit zwei Kindern muss sich Mühe geben, die Produktion klein zu halten. Schwierig genug, denn die Erde ist fruchtbar auf dieser Insel, die viel näher an Deutschland und Schweden als am Mutterland liegt – und ein wenig anders ist als der Rest des Königreichs.

VON DER SONNE GEKÜSST

Bornholm thront auf Granitfelsen, diese speichern die Wärme, daher dauern Sommer und Herbst länger als im Rest von Dänemark. Die klimatischen Bedingungen sind ideal für Feigen, Pfirsiche, Melonen und Oliven. Eine Insel wie eine natürliche Goldgrube. Als vor zwölf Jahren das Restaurant „Kadeau“ in einem ehemaligen Kiosk direkt am Strand eröffnete und bald Michelin-Sterne sammelte, wurde Bornholm hip. Mehr und mehr Gäste reisten aus Kopenhagen oder Aarhus an, um zu schlemmen. Der Boom blieb nicht ohne Folgen: Ehemalige Bornholmer erinnerten sich an ihre Wurzeln, Großstädter entdeckten ihre Liebe zur Natur, von der die Insel entlang der 158 Kilometer langen Küstenlinie so viel zu bieten hat: weite, weiße Sandstrände im Wechsel mit eindrucksvollen Klippen zwischen charmanten Dörfern wie Svaneke oder Rønne. Es kamen Gastronomen, Farmer und Aussteiger, die kleine Manufakturen gründeten. Eine Aufbruchstimmung wie in einem Silicon Valley für Foodies.

2015 wurde der Gourmetverband “The Taste of Bornholm” gegründet, damals waren es 40, nun sind es schon 65 Mitglieder, die Karamell, Schokolade, Craft Beer, Nudeln, Lakritz, Honig, Gin und Akvavit oder Käse herstellen. Wie Lene Schrøder, die auf der Lykkelund Gedemejeri 60 Ziegen hält, um aus ihrer Milch Käse und Eis zu machen. Vor sechs Jahren zog sie von Seeland nach Bornholm. Ihr Erfolgsrezept beschreibt sie knapp: „Learning by Doing und Fehler machen.“ Eine typische Start-up-Mentalität, die unter besten Bedingungen gedeihen kann: Jeder Zipfel der Insel ist in maximal 30 Minuten erreichbar, und die nur 40000 Einwohner sind intensiv vernetzt, mit genügend Luft für Neuinsulaner.

Die deutsche Naturführerin Vera Keim lebt schon seit 15 Jahren in Dänemark. Bei einer Wanderung durch Gudhjem Havn sammeln wir mit ihr Stranddreizack, Metkraut und Süßdolde (Lakritzkraut) direkt am Wasserrand. „Hier schmeckt alles süßer und saftiger wegen des Mikroklimas“, schwärmt Vera, die mitreißende Legenden über das Liebeskraut kennt oder über die Fette Henne, die hier wild wächst und deren Blätter an Nobelrestaurants verkauft werden. Vera führt uns durch einen Kräuter- und Gemüsegarten mit Hopfen, Kartoffeln, Lakritzkraut, Salbei, Blattfenchel. Mit manchen der Kräuter kochen wir gleich im „Gaarden“ in Gudhjem, ein Bauernhof mit Museum und dem „Madkulturhus“, übersetzt etwa „Esskulturhaus“.

ZUR ESSKULTUR GEHÖRT AUCH DAS SCHLACHTEN

Während wir für unser Essen Kürbis schnippeln, Salat waschen, Eiscreme rühren, erklärt Carsten Wagner – noch so ein Umsiedler aus Deutschland –, worum es in diesen Räumen geht: „Wie unser Essen auf den Tisch kommt und woher es stammt.“ Konsequenterweise wird diese Idee nicht nur im Pflücken und Kochen umgesetzt, sondern auch im Schlachten. Im Madkulturhus werden Schlacht-Workshops veranstaltet, bei denen es Hühnern, Schweinen und Rindern per Hand an den Kragen geht. Besonders spannend sei das für Schulklassen. Da ich irritiert gucke, meint Carsten beruhigend: „Keine Sorge. Die Kinder reagieren nicht traumatisiert, sondern eher beeindruckt. Viele wissen nicht mal, dass ihr Brathähnchen auf dem Teller mal ein Tier mit Federn war. Nach diesem Erlebnis gehen sie bewusster mit dem Thema Ernährung um.“

So wie offenbar alle Bornholmer. Am nächsten Tag bekomme ich beim Lunch im edlen Restaurant des „Stammershalle Badehotels“ geröstete Sanddorn-Cornflakes, zum Dessert ein Eis aus Ziegenmilch. Meine Reisestationen, vereint an einem Tisch: Irgendwie fühle ich mich heimisch.

REISEPLANER

HINKOMMEN Die Reederei “Bornholmslinjen” bietet ganzjährig Direktverbindungen zwischen Sassnitz/Rügen und Rønne an. Die Fähre „Hammershus“ braucht nur 3 Stunden und 20 Minuten. Preis für einen Pkw inkl. fünf Personen: ab 19 Euro/Strecke. www.bornholmslinjen.de

SCHLAFEN Strandnah liegt das Hotel „Friheden“ nahe Allinge mit Indoor-Pool. www.hotelfriheden.dk

Modern: Das „Fredensborg“-Badehotel in Rønne liegt direkt am Strand. www.fredensborg.hotel-in-denmark.com

NICHT VERPASSEN „Svaneke Røgeri“: Fünf markante Schornsteine weisen den Weg zur berühmtesten Räucherei der Insel. Üppige Portionen mit Räucherheringen, Lachs, Aal u. v. m., Fiskergade 12, Svaneke, www.svanekeroegeri.dk

BORNHOLM AKTIV Für Radler führt eine „Gourmet Route“ zu zehn leckeren Stationen an der Nordostküste über 24 Kilometer von Gudhjem über Østermarie bis nach Svaneke.

INFOS Offizielle Tourismus-Website: www.bornholm.info

Erschienen in FÜR SIE

 
 

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