IM LAND DER MAYA

Tiefgrüner Dschungel, uralte Maya-Ruinen: In Mittelamerika liegt das kleine Land Belize – ursprünglich und etwas geheimnisvoll

Jedes Land spinnt seine Legenden, doch was man in Belize so alles hört, lässt das eigene Leben allzu frei von Überraschungen erscheinen: „Am liebsten kuschle ich mit Haien“, schwärmt die Barfrau auf der Insel Ambergris Caye. „Den wildernden Jaguar im Garten habe ich selbst gefangen“, berichtet der Lodgebesitzer. „Pass auf die Knochen auf. Hier liegen noch 1000 Jahre alte Skelette rum“, warnt der Höhlenschwimmer. „Schon möglich, dass die Welt sich bereits im Untergang befindet“, sinniert der Maya-Kenner in Xunantunich.

Das Verrückte: In diesem schmalen Land, eingeklemmt zwischen Mexiko, Guatemala, Honduras und der Karibik, scheint auch das Unvorstellbare möglich. „Belize it or not“ sagen die Einwohner und widmen sich wieder ihren Pflichten (Haie streicheln, Jaguare zähmen, Knochen sortieren, den Weltuntergang zu- oder absagen). Der Reisende wird blass – und will endlich auch ein wilderes Leben.

Wilde Orchideen, die nach Amaretto duften

Ich beginne an einem traumschönen Tag in einer „Tarzan & Jane“ Kulisse im südlichen Toledo District. Tiefgrünes Dschungeldickicht, wilde Orchideen, die nach Amaretto duften, dösende Leguane. Ein Trampelpfad führt entlang des Blue Creek bergauf, dann über glitschige Felsen direkt durch das Wasser. Bis das von Stalaktiten verzierte Tor einer Höhle auftaucht. Hineinschwimmen wollen wir. Doch dann sagt Guide Steven diesen erschütternden Satz über die Knochen, die möglicherweise auf dem Grund lagern. Für die Maya waren Höhlen ein mythischer Ort, der Übergang in die Unterwelt, in das Reich der Toten. Hier feierten sie Rituale für die Götter, opferten Tiere und Menschen, die sie töteten, ausbluten ließen und versenkten.

„Komm rein!“, ruft Steven fröhlich. Ganz still ist es drin, das Wasser plätschert nicht, sondern steht. Was mag sich unter meinen Füßen befinden? Blinde Fische, ein paar Knochen? Als ich in einer Grotte einen weißen, hageren Mann reglos liegen sehe, drehen meine Nerven durch. Ich muss sofort raus. Später treffe ich den hageren Mann wieder. Ein Brite. Im Sonnenlicht wirkt er nur blass, nicht mehr leichenhaft. Er habe meditiert, diese Höhle sei „so ungeheuer spirituell“. In der Blütezeit vom 3. bis 9. Jahrhundert entstanden in Mittelamerika mächtige Stadtstaaten, es wurden Götter angerufen, exakte mathematische und astronomische Berechnungen angestellt und eine Hiroglyphenschrift entworfen, die bisher nur zu 70 Prozent entschlüsselt ist. Dann dieser berühmte Kalender, der am 21.12.2012 enden sollte. Dann das plötzliche Verschwinden der Maya im 9. Jahrhundert – genug Futter für Generationen von Historikern und Esoterikern. Zumal noch massenhaft unentdeckte Ruinen im Dschungel verborgen liegen sollen.

Ihre Spuren haben die Maya auch in Mexiko, Guatemala und Honduras hinterlassen. Nur Belize kennt eben kaum jemand. Deswegen bin ich hier: kein einziger deutscher Tourist, nur wenige Amerikaner, Kanadier, Australier. Die etwa 300.000 Belizianer sehen um so interessanter aus: Langbärtige Mennoniten auf Pferdedroschken, tiefschwarze Garifuna (Einwanderer aus Afrika mit eigener Sprache und Musik), Mayafrauen in wunderschönen, leuchtenden Kleidern – als würden sie zum Rendezvous mit dem Regengott eilen.

KEIN ORT FÜR DAS EINFACHE VOLK

Der heißt Chaac, und ich sehe ihn verewigt im Stuckfries der Maya-Stätte Xunantunich. „Anstelle einer Nase trägt er einen Rüssel, damit der Regen strömen kann“. Elfego Panti, ein kleiner Mann mit straffem Bauch, half mit, als Xunantunich in den 1970er Jahren von Archäologen freigelegt wurde. Die Bauten rund um den riesigen Platz wirken monumental. „Das war kein Ort für das einfache Volk, hier lebten Priester und Könige“, sagt Don Panti und zupft Unkraut zwischen den geschwärzten Steinen heraus. Dieser Ort beschäftigt ihn immer noch. „Die Ozeane erwärmen sich, die Erdbeben nehmen zu. Vielleicht endet alles in einer Sintflut.“ Er erzählt weiter, dass die Maya dem Ritualkalender (tzolk’in) mit 260 Tagen folgten, der das Schicksal der Neugeborenen bestimmte, außerdem dem Sonnenkalender (haab) mit 18 Monaten zu je 20 Tagen plus 5 Tagen (insgesamt 365), der vorgab, wann geerntet, gefeiert, geopfert wurde. Und als wäre dies nicht genug, wird in der „Langen Zählung“, die am 8.9.3113 v. Chr. begann, in „Bak’tun- Zyklen“ zu je 395 Jahren gezählt. Am 21.12.2012 endete der 13. Zyklus. In der Schreibweise der Maya entspricht dieses Datum (13.0.0.0.0) wieder dem Schöpfungstag: „Ein Großereignis“. Mr. Panti reibt sich den Bauch, und mir schwirrt der Kopf. Schlauer bin ich noch nicht. Vielleicht morgen.

KEINE DÖRFER, KEINE SCHILDER

Nahe Punta Gorda pickt mich Bruno Kuppinger auf. Der Deutsche lebt seit über 20 Jahren hier, baute seine „Sun Creek Lodge“, leitet Dschungeltouren und fing den Jaguar, der neulich nachts im Garten herumschlich, tatsächlich mit einem selbstgebauten Fallgitter, betäubte ihn und setzte ihn im Jaguar-Schutzgebiet „Cockscomb Basin“ aus. Während Bruno erzählt, holpern wir durch die Wildnis. Keine Dörfer, keine Schilder, nur Grün, Grün, Wald, Bäume, ein paar Geier, wieder Grün. Nach zwei Stunden die erste Hütte von Na Luum Ca. „Wenn Du das Ende der Welt sehen willst, bist Du hier richtig“, sagt er und saust in seinem klapprigen Jeep davon.

Das Ende der Welt schaut freundlich aus. Holzhütten, Kinderlachen, ein Fluss, an dem Frauen ihre Wäsche und sich selbst waschen. Matilda Sho winkt mich in ihre Hütte, die simpler nicht sein könnte: ein Tisch, unter dem die Hühner dösen, sechs Stühle und ein Steinofen, auf dem von morgens bis abends die Tortillas brutzeln.

Vom 40 Meter hohen „El Castillo“ in Xunantunich guckt man bis nach Guatemala

NACHTS IM DSCHUNGEL WIRD ES LAUT

Fünf Kinder und ihr Mann müssen satt werden. Emeterio kommt von der Feldarbeit nach Hause geritten. Er hatte die Idee zu diesem „Maya Homestay“ im kleinen Rahmen. Alle zwei Monate haben sie mal einen Gast. „Wir wollen uns austauschen. Dafür ist es besser, wenn Du kommst, als wenn wir kommen.“ Die Familie war noch nie im Ausland, um so neugieriger fragen sie: „Kennst Du Schnee? Wie sieht Deine Stadt aus?“ Ich erzähle von Schiffen, Flug- zeugen, U-Bahnen und Computern, hier im Dschungel klingt das wie Science-Fiction. „Welches Gemüse baust Du an?“, fragt Matilda. Ich bin ratlos. Meine Balkonkräuter Oregano und Petersilie kennen sie nicht. „Du musst sehr arm sein“, Emeterio lacht meckernd. Familie Sho lebt vom Eigenanbau, von Mais, Bohnen und Kakao. Und offenbar mögen sie Kalender. Sieben Stück hängen an der Wand.

Ein Indiz? Abwehrende Gesten. „Wir haben diesen Kalender nicht gemacht.“ Zartes Lächeln. „Vielleicht ist es so“, Emeterio beugt sich vor, „manche Menschen sind unzufrieden mit der Welt, fürchten sich und übertragen ihre Ängste auf eine uralte Kultur.“ Pause. „Am 21.12.2012 endete ein Zyklus und ein neuer begann, that’s it.“ Alle nicken. Später in der Hängematte lausche ich den Geräuschen der Dschungelnacht (Rascheln, Fiepsen, Trapsen – ein Mensch, ein Tier oder Chaac?) und träume von einer Flut, die meine Balkonkräuter mitreißt, während Emeterio auf einem Floß vorbeitreibt und Kakao trinkt.

Auch ich werde ein Boot besteigen, aber es schaukelt nicht zum Ende der Welt, sondern raus auf das Meer, zu den über 200 Inseln von Belize. Eine lichte Gegenwelt zum Dschungel mit Robinsoninseln, Partyinseln, Hippie-Inseln, Reggae und Rum. Beim Schnorcheln sehe ich blaue Stachelrochen und einen monstergroßen Ammenhai. Soll ich ihn streicheln? Andere tun das, er soll lieb sein. Aber muss ich das Schicksal herausfordern? Wenn die Welt nicht untergeht, will ich das unbedingt erleben.

REISEPLANER

Anreise: Condor fliegt ab Frankurt/Main nach Cancún in Mexico, www.condor.de. Ab Cancún mit Maya Island Air eine Flugstunde nach Belize-City, www.mayaregional.com.

Schlafen im Dschungel: „Sweet Songs Lodge“, bezaubernde Ökolodge mit großem Botanischen Garten am Macal River in San Ignacio, www.sweetsongslodge.com.

„The Lodge at Big Falls“ ist perfekt für Abenteuertouren im Süden von Belize. www.thelodgeatbigfalls.com.

Den Maya- Homestay vermittelt die Kooperative „The Toucan Trail, www.toucantrail.com.

Inselfluchten: Dezenten Luxus bietet das „Portofino“ auf Ambergris Caye, www.portofinobelize.com.

Robinson-Gefühle warten auf der Mini-Insel Long Caye in der „Huracan Diving Lodge“ mit nur vier Zimmern in der Nähe des berühmten Tauchspots „Blue Hole”, www.huracandiving.com

Informationen: „Belize Tourism Board“, www.travelbelize.org.

Erschienen in VITAL

 
 

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