MAYA-FUNDE IN YUCATAN

Pionier der Maya-Forschung und Wegbereiter der Archäologie in Mittelamerika. Der Entdecker Teobert Maler findet, fotografiert und skizziert etwa 150 Maya-Stätten. Ein Schatz für die Forschung

Dies soll seine große Entdeckung sein. Um jeden Preis. Im Januar 1889 kämpft sich Teobert Maler durch den Dschungel, haut mit einem Trupp einheimischer Helfer mit Macheten die zugewachsenen Pfade frei, von der Hitze niedergedrückt, von Moskitos zerstochen. Am Spätnachmittag endlich Jubelrufe. Überwucherte Ruinen in Sicht! Maler triumphiert. Endlich hat er sie gefunden, jene alte Maya-Siedlung, von der ihm in entlegenen Dörfern berichtet wurde. Eine ganze Stadt, völlig unerforscht. Er wähnt sich als erster Entdecker von Xkichmook in Yucatán, auf den Kuppen benachbarter Hügel errichtet, ein Tempelpalast mit mehreren Gebäuden, eher klein von den Ausmaßen, aber „von der schönsten Tropenvegetation umgeben“, wie er schwärmerisch notiert.

Seine Männer und er legen die Überreste frei. „5. Januar. Ausgehauen. 3 Ruinen südlich vom Hauptpalast entdeckt. Neumond. 6. Januar. Hauptpalast fertig hergerichtet. Plan gemacht. Um Mittag fing es an zu regnen. 7. Januar. Angefangen zu photographieren, recht bewölkt. Schöne Pfeilspitze aus Feuerstein ausgegraben.“ Im Staccato notiert er den Fortgang der Arbeiten. Bis zu jenem Moment, als er Schriftzeichen entdeckt. Keine kunstvollen Hieroglyphen in der rätselhaften Schrift der Maya, sondern moderne, nackte und klare Buchstaben: EHT. Die Initialen von Edward Herbert Thompson, einem Amerikaner, der wie Maler nach den Stätten der Maya sucht. Sein schärfster Konkurrent. Sein Widersacher. Vor ihm da gewesen. Ermattet lehnt sich Maler an die alten Steine.

Maler glaubt sich am Ziel: Eine prächtige Ruine liegt vor ihm. Doch sein Rivale war vor ihm dort

Irgendetwas muss er tun. Seine Entdeckung will er sich nicht mehr nehmen lassen: Er datiert seinen Fund einfach vor. „Yucatan 1887 Teoberto Maler“ steht unter der Reinzeichnung des Planes vom Tempelpalast, konträr zu seinen Tagebuchnotizen. Egal, er will unbedingt vor Thompson da gewesen sein. „Im ersten Eifer hat er Xkichmook offenbar überschätzt“, sagt Iken Paap, Maya-Forscherin am Ibero-Amerikanischen Institut in Berlin. Er fälscht seine Daten, nur um Thompson zuvorzukommen, der die Ruinen bereits 1886 entdeckt und 1888 darüber berichtet hatte. Maler muss aufgewühlt gewesen sein. Er, der sonst größten Wert auf akribische Präzision und Detailgenauigkeit legt, ausgerechnet er fälscht ein Datum. Endlich will auch er ein wenig Ruhm für seine mühsame Arbeit.

Heute wird ihm allergrößte Anerkennung zuteil. Er gilt als Pionier der Maya-Forschung, als Wegbereiter der Archäologie in Mittelamerika. Etwa 150 Maya-Stätten entdeckt, fotografiert und skizziert er. Er spürt den Geheimnissen der Maya nach, diesem Volk, das vom Tiefland der Halbinsel Yucatán bis zu den Bergen Honduras herrschte. Zehntausende Menschen lebten in den großen Städten der Maya, die oft an Flüssen und Handelswegen entstehen, sich aber nie zu einem gemeinsamen Reich zusammenschlossen. Stattdessen führten die Stadtstaaten immer wieder brutale Kriege gegeneinander, die gemeinsame Sprache und die Religion kittete die Maya nicht stark genug aneinander, um die Konflikte zu verhindern.

Als Maler durch Mittelamerika reist, sind viele Rätsel der Maya noch nicht gelöst: ihre Schrift etwa, oder die Grundzüge ihrer Religion. Dank seiner Arbeit finden noch heute Forscher immer mehr Details über das Volk heraus, das Menschen opferte, um die Götter gnädig zu stimmen, das vom Maisanbau lebte und es schaffte, mehrere Ernten im Jahr einzubringen, und das viele Städte plötzlich unversehrt aufgab und verschwand.

Malers Fotos sind ein Schatz für die Wissenschaft. Sie führen Forscher zu vergessenen Ruinen

Malers gut 3000 Fotoabzüge und schriftlichen Berichte sind bis heute ein Schatz für die Maya-Forschung. Und mit seinen akkurat-pedantischen Wegbeschreibungen lassen sich heute noch kaum beschriebene Stätten finden. Auch das Bonner Forschungsprojekt „Textdatenbank und Wörterbuch des Klassischen Maya“, das sämtliche Inschriften erfasst und dabei hilft, die Rätsel der Maya-Schrift zu entschlüsseln, greift auf Bilder von Teobert Maler zurück. Denn viele Stätten, die er fotografiert hat, wurden von Plünderern zerstört oder erneut vom Regenwald überwuchert. Malers Bilder sind auch deswegen kostbare Zeitdokumente.

Was trieb den Deutschen überhaupt in den Dschungel von Yucatán? Am 12. Januar 1842 kommt er als Kind deutscher Eltern in Rom zur Welt, später studiert er in Karlsruhe Architektur und Bauingenieurwesen. 1864 meldet sich Maler dann als Freiwilliger für das Expeditionskorps des österreichischen Erzherzogs Maximilian, der Kaiser von Mexiko werden soll. Er nimmt an Gefechten gegen die mexikanische Befreiungsarmee teil, wird zum Leutnant befördert. Mit der Erschießung Kaiser Maximilians am 19. Juni 1867 endet die militärische Intervention Österreichs in Mexiko schmachvoll. Jeder Soldat muss sich binnen 24 Stunden unter Androhung der Todesstrafe zurückmelden. Nicht so Teobert Maler. In den Kleidern eines einfachen Mexikaners taucht er unter und beginnt eine langjährige Wanderschaft durch das Land.

In das Maya-Gebiet gelangt er erstmals 1877, als er die Ruinen von Palenque im Regenwald von Chiapas besucht und in Zeichnungen und Fotografien dokumentiert. Er schreibt ausführlich über die damals überwucherten Gebäudereste und glaubt gar, einen neuen alten Tempel gefunden zu haben, den „Tempel des Blätterkreuzes“. Womöglich hat ihn genau hier das Entdeckerfieber gepackt. Der Tod seines Vaters zwingt ihn 1878 zur Rückreise nach Europa. „Nun nach 13 Jahren, 3 Monaten verließ ich zum ersten Male dieses Land, nach einem Leben voller Gefahren, Mühe und Arbeit“, schreibt er in akkurater Architekten-Handschrift in sein Notizbuch.

Die Erbschaftsangelegenheiten gestalten sich komplex. Maler überbrückt die Wartezeiten, indem er durch Europa reist, Museen, Ausstellungen und Bibliotheken be-sucht. 1882 kommt endlich die Nachricht, dass er sein Erbe in Höhe von 67 768 Mark antreten darf. Maler ist damit ein wohlhabender Mann. Der durchschnittliche Jahresverdienst eines einfachen Arbeiters liegt zu dieser Zeit bei etwa 750 Mark. Er löst die Wohnung seines Vaters auf, lebt einige Monate in Paris, kauft Kameras und Objektive, lässt sich in einem Fotostudio in München in die neue Technik der trockenen Fotoplatten einweisen. Im März 1885 kehrt er nach Mexiko zurück, diesmal gleich nach Yucatán. Er lässt sich mit einem Fotoatelier in der Kleinstadt Ticul nieder, mietet ein Haus in Mérida und beginnt 1886 sein ehrgeiziges privates Projekt: die Entdeckung und Dokumentation verschütteter Maya-Stätten auf der Halbinsel Yucatán.

„17.12.1886. Ab nach Labná. 18.12. Mit Aushauen begonnen. 19.12. Weiter ausgehauen.“ Labná liegt im Herzen des Puuc-Gebiets im nördlichen Yucatán, heute keine zwei Autostunden von Mérida entfernt. Für Maler damals eine tagelange Tour und Ausgangspunkt einer langen Reise. Zum größten Verdruss von Maler taucht ausgerechnet Thompson auch in Labná auf, jener Rivale, mit dem er bis zum Ende seines Lebens in bitterer Feindschaft verbunden bleibt. Neben Maler und Thompson erforscht ungefähr eine Handvoll anderer Männer zu jener Zeit die Halbinsel Yucatán. Historiker, Archäologen, Schatzsucher – jeder wittert eine Sensation: ein Grab voller Gold, eine Kammer voller Jade-Statuen, wenigstens ein bedeutsames Fries.

Maler lernt die Maya-Sprache, feilt an seinen fotografischen Künsten, liest mit soldatischer Disziplin alle Bücher und Berichte, die ihm zur Verfügung stehen, befragt Einheimische, Kautschuksammler und Holzschläger. Menschen, die im Regenwald leben und sich auskennen. Dank des stattlichen Erbes seines Vaters hat er genug Geld, um eigene Expeditionen zu finanzieren und einheimische Führer anzuheuern. Allein 1887 erforscht er binnen fünf Monaten 19 Ruinenstätten. Er notiert exakt, wie seine Funde aussehen, die Form der Säulen, die Gestaltung eines Frieses, den Zustand der Hieroglyphen, das Aussehen rätselhafter Figuren.

Zwei Expeditionen führen Teobert Maler nach Tikal im nördlichen Guatemala. In dem Wandstück am Eingang einer Ruine ritzt er seinen Namen und die Daten 1889 und 1904 ein. Tikal gehört zu den prächtigsten Metropolen der Hochkultur, bis zu 60000 Menschen lebten dort. Zahlreiche bedeutende und große Tempel entstanden in der Metropole. Eines von mehreren wichtigen Zentren der Hochkultur.

Zwischen 300 vor und 1500 nach Christus bauten die Maya zahlreiche Städte auf. Wenige reichen an Tikal heran. Und doch: Um das Jahr 900 gaben die Bewohner ihre Heimatstadt plötzlich auf, überließen sie dem Dschungel – ein Rätsel, das auch Maler nicht lösen konnte. Er wusste nicht, dass Tikal eine mächtige Gegenspielerin hatte – etwa 150 Kilometer entfernt lag Calakmul. Diese Stadt im Süden von Yucatán wurde erst 1931 wiederentdeckt. In der als „Königreich der Schlange“ bezeichneten Metropole wurden bislang gut 120 Stelen mit Kalenderdaten, Inschriften und Porträts von Herrschern, Priestern und Kriegern geborgen. Nicht alles konnte entziffert werden, doch so viel ist klar: Calakmul und Tikal lagen ständig im Clinch. Der erste Konflikt zwischen den Maya-Metropolen eskalierte 546 n. Chr. Calakmul mischte sich in die Innenpolitik von Naranjo ein, einer Nachbarstadt von Tikal und installierte dort einen Herrscher. Eine Provokation!

Wenig später geschah Ähnliches: In Los Alcranes setzte Calakmul 562 ebenfalls den Herrscher ein. König „Beobachter des Himmels“ übernahm die Macht. Schon im nächsten Jahr führte er seine Krieger gegen Tikal, das für die nächsten 130 Jahre in zahllose Konflikte verwickelt war. Erst im Jahr 695 begann Tikals Wiederaufstieg, als das von Calakmul geschmiedete Bündnis zerbracht. In Tikal setzte der Herrscher Jasaw Chan K’awiil I. ein enormes Bauprogramm in Gang, um die wiedererlangte Größe öffentlich zu zelebrieren. Gleichzeitig versank Calakmul in politischer Bedeutungslosigkeit.

Die Freude darüber währte in Tikal nur kurz. Mit Beginn des 9. Jahrhunderts setzte im gesamten Maya-Tiefland eine Krise ein, die zur Aufgabe der Städte führte. Die letzte Stele aus Tikal stammte von 869 und markiert das Ende der Königsdynastie. Das letzte in Calakmul gefundene Kalenderdatum stammt aus dem Jahr 909. Damit war das über Jahrhunderte etablierte politische System der klassischen Maya endgültig passé.

Vermutlich leitete der große Krieg der beiden Städte das Ende der Maya ein: Danach gab es keine Ordnungsmacht mehr in Zentralamerika. Übrig geblieben waren viele Kleinststaaten, die im permanenten Bürgerkrieg untereinander die adelige Elite ausbluten ließen. Das einfache Volk gab die großen Metropolen auf, die Städte zerfielen. Bis heute ist aber der Kollaps der Maya-Gesellschaft nicht eindeutig gelöst. Auch Maler mag sich gefragt haben, warum er immer wieder auf aufgegebene Städte stieß – die im Laufe der Jahrhunderte zwar von der Natur überwuchert, aber nicht durch Kriege oder Katastrophen zerstört worden waren.

Der Krieg zwischen den Städten Tikal und Calakmul leitet das Ende der Maya-Herrschaft ein. Danach zerfällt die Ordnung in Mittelamerika

Teobert Maler erhält im Lauf der Jahre allmählich mehr Anerkennung. Das renommierte Peabody Museum für Archäologie und Ethnologie der Harvard-Universität in Cambridge beauftragt ihn mit Expeditionen, die ihn zwischen 1897 und 1905 nach Chiapas, Guatemala und in das heutige Belize führen. Die Zusammenarbeit mit dem Peabody Museum endet – neben Streitereien um die Honorare – auch deswegen, weil Maler nicht damit leben kann, dass Thompson ebenfalls für das Museum forscht. Damit hören Malers große Entdeckungsreisen auf.

1912 reist er zum letzten Mal nach Europa, hält Vorträge und kehrt anschließend nach Mérida zurück. Er lebt vom Verkauf seiner Fotoabzüge, doch das Geld geht trotzdem aus. Er wird lethargisch, ungepflegt. Die Vormittage verbringt er in einer Eckkneipe, beobachtet das Leben auf der Straße, während er langsam ein Glas Bier trinkt. Er stirbt kurz vor seinem 76. Geburtstag am 22. November 1917. Sein monumentales dreibändiges Manuskript „Península Yucatán“ erscheint erst 1997, 80 Jahre nach seinem Tod.

Mehr als 100 Jahre später setzen sich Maya- Forscher sehr genau mit seinem Werk auseinander. Der Schreibtisch von Iken Paap, Altamerika-Expertin aus Berlin, ist übersät mit Malers Handschriften, Skizzen und Fotos. „Jeden einzelnen Tag bin ich mit ihm beschäftigt“, sagt sie. Erst recht, seit sie ein Grabungsprojekt in Dzehkabtún leitet, einer Ruinenstätte in Campeche. Teobert Maler hatte die Stätte 1887 ausführlich beschrieben. Tatsächlich als Erster.

Erschienen in P.M. HISTORY

 
 

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